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Foto (Ausschnitt): contrastwerkstatt / Adobe Stock

Pippis Leserinnen

28. Mai 2024

Teil 1: Leitartikel – Zum Gerangel um moderne Lebensgemeinschaften

Freiheit! Tradwives heißen jene retrotraditionell verorteten Ehefrauen, die nach den USA längst auch durch Europas digitale Netze geistern und zeigen, wie frau sich hinterm Herd ins pure Glück bruzzelt. Auch schon mal adrett unterfüttert von 50er-Jahre-Nostalgie, feiern dort die Protagonistinnen ihr Rollenglück als Ehefrau und Mutter ab: Frei und selbstbestimmt jenseits beruflicher Verpflichtungen! Die Küche ist mir Kreativraum, die Kinder sind mir Erfüllung, mein Gatte ist mir Sicherheit – und sein Wunsch ist mir Geheiß! Und abends dann mach ich mich für ihn bettfertig. Juchhe! Klingt hohl, ist es aber nicht, denn die Entscheidung fiel ja selbstbestimmt: Pure Feminism! 

Kreativraum Küche 

Klar. Bloß eigentlich passen Tradwives gar nicht in die Welt, auf die sie durch ihr blitzblank poliertes Küchenfenster blicken. Es sei denn, sie unternehmen mal einen Ausflug zu Ikea, dem Inspirationsquell ihres Glücks. Wohnst du noch oder lebst du schon? Nun, wir sagen mal so: Der Mann wohnt, die Frau lebt zu Hause. So zumindest das Konzept der klassischen Familienehe, die vom Mann dermaßen historisch fundamentiert ist, dass sie längst ein Naturgesetz darstellt. Also, für den Mann. Die Familienehe: eine patriarchalisch in Stein gemeißelte Konstellation, auf die über Jahrhunderte Gesetz, Arbeitsbedingungen und Gesellschaft ausgerichtet wurden. 

Und jetzt kommen sie in den letzten Jahrzehnten auf einmal überall daher und schüren Konfusion. Diese gleichgeschlechtlich oder sonstwie undefinierbaren Heiratswütigen, die ehelos Verpartnerten oder auf ewig kinderlos Verehelichten! Und machen Vater, Mutter, Kind kaputt. Fordern Gleichstellung vor dem Gesetz und solche Sachen. Fordern, dass die Frau mehr ran soll an ihr eigenes Ding, und dass der Mann mehr ran soll an die eigene Familie! Wobei obwohl: Das klingt doch eigentlich ganz schön, oder? Und wenn man es politisch ermöglicht und solidarisch begrüßt, könnte das dann nicht eine ganze Gesellschaft glücklicher machen? Schweden hat’s doch längst vorgemacht mit seiner modernen Eltern-Zeit- und Geldregelung. Schwedische Väter beziehen heutzutage rund ein Drittel des Elterngelds. Freiwillig! Ach, jetzt komm mir nicht wieder mit Schweden! Elternzeit hier, konsensuale Wehrpflicht da, und überall die Duzerei: Schweden, Schweden, ständig und überall das schwedische Modell! 

Frauenfeindlich wählen

Ja früher, da kam man noch gut klar mit Schweden, als der Herr Papa unbesorgt seine Köttbullar naschte. Nur unterschätzte er dabei sträflichst Pippi Langstrumpf. Jetzt sind Pippis Leserinnen längst erwachsen und wollen auch etwas erleben. Doch der Weg dorthin ist steinig. Ein Weg, auf dem etablierte Strukturen ebenso überwunden werden müssen wie engstirnige Ewiggestrige. Das ist nicht leicht, weil die Vertreter alter Strukturen nicht nur die Bewahrer dieser Strukturen, sondern auch verdammt mächtig sind. Und weil sie es trefflich verstehen, Leidtragende für sich zu gewinnen. Niemand versteht, warum Frauen einen frauenfeindlichen Ex-US-Präsidenten wiederwählen würden. Aber sie tun es. So wie Tradwifes ihr Glück in vier Wänden missionarisch und am liebsten alternativlos als Paradies anpreisen – um nach zwei Jahrzehnten vielleicht irgendwann daraus aufzuwachen und festzustellen: Ich habe meine Identitätsfindung mit zwanzig Jahren abgeschlossen und bin finanziell hoffnungslos abhängig von meinem (Ex-)Mann. Wie beglückend kann es sein, wenn draußen hinterm Küchenfenster eine Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten wartet. Eine Welt für alle: Entdecke die Möglichkeiten.

Hartmut Ernst

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