Die große weiße Leere wird behütet von einem Bäumchen, dessen Äste unter einem Blattwerk aus Manuskripten ächzen. Das Geschriebene ist in der Welt und wird gepflückt, komme was da wolle, und was der Wille für eine Macht hat, inszeniert Selen Kara am Theater Dortmund in einem Double-Feature nach „Mrs. Dalloway“ von Virginia Woolf und „4.48 Psychose“ von Sarah Kane. Eingepfercht in die Konventionen, baumelnd zwischen maximalem Talent und unnachgiebiger Seelenpein, suchen beide Literatinnen nach einem schier unmöglichen Ausweg. Dankbarerweise hat Kane testamentarisch bestimmt, dass ihre Texte nicht gefleddert werden dürfen, und so konnte der zweite Teil der Inszenierung den Abend voller wirrer Fragmente kunstvoll überlagern.
Aber erst einmal Mrs. Dalloways Weg vom Blumenhändler zum Gesellschaftsabend – und dessenruinöser Verlauf zwischen beteiligten Personen wie dem emotional erstarrten Soldaten Septimus Warren Smith, dem Notnagel-Gatten Richard Dalloway und ihrer Jugendliebe Peter Walsh. Nichtnur die Personen, auch die Inszenierung selbst umtanzt die Hauptperson choreografisch auf einem engen Bühnen-Tableau. Großartige Kostüme mit eigener Aura (Anna Maria Schories) lenken von den oberflächlichen Dialogen ab, mit denen das Innenleben der einzelnen Seelen überlagert werden soll. Die Soundspur von Torsten Kindermann unterstreicht das. Mrs. Dalloway denkt unaufhörlich über das Altern und den Tod nach, über ehemalige Liebhaber, Kreuzwege des Lebens, an denen sie vielleicht die falsche Entscheidung getroffen hat. Ihr Leben ist erstarrt, und sie philosophiert über die Notwendigkeit, es weiterhin auszuhalten. „Ich bin glücklich“ – ein Schlüsselsatz, der die Misere in Worte kleidet. Niemand lebt für sich allein, und doch: Das Prinzip wäre die Konvention, die eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Wollen unmöglich macht. Am Ende ist Septimus Warren Smith tot, die Stimmen in seinem Kopf waren stärker als er, Clarissa Dalloway versteht seinen Schritt, zieht ihn in Erwägung, „denn es könnte schon sein, dass die Welt selbst ohne Sinn ist“. Und so ist denn ein „Vielleicht“ das letzte Wort, bevor es in die Pause geht. Das weiße Bäumchen hatte da bereits viele seiner beschriebenen Blätter verloren.Einen Moment von Klarheit vor der ewigen Nacht soll der zweite Teil dann werden. Jetzt sind die Schachfiguren aus dem ersten Teil auf einem richtigen Spielraster angekommen. Die Bühne ist jetzt dunkel, oben schwebt der Nebel wie eine manifestierte Aura, unten die sich drehende Realität. Wie unter Ätherwolken werfen die Feinstofflichen aus dem Kopf der Sarah Kane das Ungeheuerliche um sich. Der gequälte Organismus bäumt sich auf unter der Last der muffigen Medikamente, des brutal zur Schau gestellten Unverständnis der Ärzte und der am Ende höllischen Unerreichbarkeit der wahren Liebe. Selen Kara inszeniert das alles sehr glatt mit fast designten Konstellationen in immer noch großartigen Kostümen, die hier und da den ersten Virginia Woolf-Teil zitieren. Ist es wieder die Konvention, die einen Geist ausschaltet. Klick? Lofepramin, Zopiclon und Temazepam konstruieren kein „Vielleicht“ im Kopf. Aber, diesen Text schrieb keine Selbstmörderin, sondern eine britische Dramatikerin in ihrem fünften Stück.
Das Mrs.Dalloway Prinzip/ 4.48 Psychose | Sa 13.11. 19.30 Uhr | Theater Dortmund | 0231 502 72 22
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