„Die folgenden 11 Takte sind von einer außergewöhnlichen Schwierigkeit; ich kann dem Dirigenten nicht genug empfehlen, sie mehrmals und mit der grössten Sorgfalt vom Wechsel des Zeitmasses (Più mosso) bis zum Wiedereintritt des Themas (Tempo I.) zu wiederholen. Es wird gut sein, diese Stelle zuerst mit den 1. und 2. Violinen allein und nachher mit dem übrigen Orchester zu studieren, bis sie mit allen Abstufungen des Zeitmasses vollkommen vertraut sind, was mir mit der nöthigen Übereinstimmung und Genauigkeit von einer Menge von Spielern am schwersten zu erreichen scheint.“ So lautet der von Hector Berlioz (1803-1869) in der Partitur vermerkte Rat zu der Passage ab Takt 17 des ersten Satzes seiner „Symphonie fantastique“. Doch nicht nur diese Stelle, sondern das gesamte Opus 14 hat wohl Carl St. Clair hinsichtlich Tempo, Dynamik und Klängen akribisch mit dem Sinfonieorchester Wuppertal geprobt. Dafür spricht jedenfalls die in allen Belangen packende Aufführung dieses Werks anlässlich des zweiten städtischen Sinfoniekonzerts im sehr gut besuchten Großen Saal der Historischen Stadthalle.
Musikalisches Seelenleben
Wie aus einem Guss kommt das Werk unter der Leitung des US-amerikanischen Ehrengastdirigenten daher. Jede noch so kleine Nuance ist glasklar herausgearbeitet, kultiviert erklingen selbst sehr komplexe und laute Tuttistellen, große musikalische Spannungsbögen gehen Hand in Hand mit eleganten Linienführungen. Die fünf in Musik gepackten Episoden aus dem Leben eines Künstlers werden hochemotional dargestellt. Es sind im ersten Satz seine Seelenzustände hinsichtlich der geliebten Frau – Leidenschaft, Freude und Schwermut. Zärtlich-rauschend kommt anschließend der Walzer von der Bühne. Poetisch, melancholisch träumt er auf dem Land, gnadenlos plagt ihn plagt ihn bald der Alptraum, seine Angebetete umgebracht zu haben und, nach seiner Verurteilung, die eigene Hinrichtung zu erwarten. Schließlich träumt er von Gesindel und Zauberern, die bei seiner Beerdigung grinsen, stöhnen und heulen. Diese Geschehnisse und intimen Empfindungen kommen packend und nachvollziehbar von der Bühne.
Kaum ist der letzte Ton verklungen, setzt im Auditorium zu Recht großer Jubel ein. Keinen hält es mehr auf den Stühlen. Die stehenden Ovationen wollen nicht enden. Erst als sich St. Clair dankbar vom Orchester verabschiedet, klingen sie aus.
Von den Stühlen
Vorangestellt ist Wolfgang Amadeus Mozarts fünftes und letztes Violinkonzert in A-Dur, KV 219. Als Solist stellt sich dabei in Wuppertal erstmals Kolja Blacher vor, ehemaliger Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, weltweit konzertierend unterwegs. Mit renommierten Orchestern und Dirigenten stand er auf der Bühne. Bei diesem sehr reifen, voller Ganz, Innigkeit und Witz sprühenden Opus, das der damals 19-jährige Konzertmeister schrieb, scheint er an diesem Abend nicht bestens disponiert zu sein. Einige falsche Töne, wie im ersten Satz gleich zu Beginn des „Allegro aperto“ ab Takt 46, schleichen sich in sein Spiel ein. Hin und wieder hören sich auch schnelle Läufe nicht perlend, sondern eher wie ein Glissando an. Die Feurigkeit des Eingangssatzes, die elegische Kantabilität im Adagio und die freundliche Beschwingtheit des finalen Rondos mit seinem derb stampfenden Mollteil kommen nicht deutlich zum Ausdruck. Dagegen spielt das Orchester unter St. Clairs umsichtiger Leitung abgesehen von wenigen ganz kleinen asynchronen Stellen akkurat und mit feinen Phrasierungen auf.
Während der kurzen Pause zwischen den ersten beiden Sätzen wird im Auditorium gemurmelt. Es gibt zwar langen anhaltenden Beifall. Doch der ebbt sofort ab, als allen klar wird, dass Blacher auf eine Zugabe verzichtet.
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