Äußerst rar gesät sind sinfonische Konzertprogramme, auf denen ausschließlich Werke stehen, die selten aufgeführt werden. Eine Ausnahme ist das erste städtische Sinfoniekonzert dieser Spielzeit. Drei solcher Kompositionen hat Gastdirigent Christian Reif ausgesucht, mit denen er im gut besuchten Großen Saal der Historischen Stadthalle für einen gediegenen Einstand in die neue Saison des Sinfonieorchesters Wuppertal sorgt.
Beethoven, Korngold, Weill
Gut, Ludwig van Beethovens vierte Sinfonie erklingt hin und wieder live. Zuletzt wurde dieses Opus 60 vor rund fünf Jahren hier gespielt. Doch viel beliebter sind die Eroica, Pastorale, Fünfte und Neunte von ihm, die, salopp ausgedrückt, mit zu den Egerländer Welthits der sinfonischen Musik zählen. Zwei Orchesterwerke hat das Sinfonieorchester Wuppertal heute sogar zum ersten Mal auf den Pulten liegen. Erich Wolfgang Korngolds „Theme and Variations“ op. 42 und die zweite Sinfonie von Kurt Weill. Beide Tonsetzer dürften zwar allseits bekannt sein: Korngold (1897-1957) als mit zwei Oscars ausgezeichneter Filmkomponist für seine Vertonung von Hollywood-Streifen und Weill (1900-1950) wegen seiner Musicals, des Balletts „Die sieben Todsünden“ und vor allem seiner Dreigroschenoper. Doch beide schufen auch etliches anderer Gattungen, etwa Kammermusik, Chormusik, Kantaten oder Orchesterwerke. Vieles davon verschwand nach Erstaufführgen lange in der Versenkung, doch nach und nach werden diese Werke wieder zum Vorschein gebracht. So ist es nur verständlich, dass Reif kurz etwas zu diesen beiden Stücken sagt.
Korngolds nur ein paar Minuten dauerndes Variationswerk aus dem Jahr 1953 ist seine vorletzte Tonschöpfung. Sie ist entstanden kurz vor seiner „Straussiana“, die er bewusst mit keiner Opuszahl versah, weil er glaubte, er würde nicht mehr lange genug leben, um etwas über Opus 42 hinaus zu komponieren. Er starb vier Jahre später. Das schüchterne, einfache Thema klingt laut seinen Worten „wie eine irische Volksweise“. Die sieben Variationen, zwei davon langsam, sind klangfarbenreich orchestriert, leicht zugänglich und muten vor allem gegen Ende bildhaft an, wie Musik ohne Filmvorlage. Weills dreisätzige zweite Sinfonie, sehr bald nach seiner Flucht vor den Nazis im Februar 1934 als Partitur fertiggestellt, ist von einem tragischen Gestus durchzogen. Immer wieder, nicht nur im Binnensatz mit seiner dominierenden Trauermarsch-Melodie, ist düstere Stimmung, Angst und Nostalgie herauszuhören. Die Bedrohung durch den Nationalsozialismus ist allgegenwärtig.
Schüchtern, düster
Mit diesem Programm debütiert Reif in Wuppertal und gibt damit eine sehr gute Visitenkarte ab. Präzise lotst er die städtischen Sinfoniker durch die drei Partituren. Differenziert selbst im lauten Forte erklingt die Musik. Mit festem Zugriff kommt Beethovens Vierte daher, ihre inhaltliche und formale Geschlossenheit wird mit großen musikalischen Bögen zum Ausdruck gebracht. Nicht minder gehaltvoll wird Korngolds Variationswerk vermittelt. Die sieben prägnanten Veränderungen des Themas werden glasklar aufgeführt. Die bedrückende Stimmung der Weill-Sinfonie kommt dank brillanter Klangbilder plausibel von der Bühne.
Das Publikum bedankt sich bei Reif und dem städtischen Orchester für diese stimmige Matinee mit stehenden Ovationen, gespickt mit einigen Bravorufen.
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