In dieser Spielzeit sind viele Dirigenten zu Gast, die zum Teil von weit her kommen, um mit dem Sinfonieorchester Wuppertal zusammenzuarbeiten. Einer von ihnen ist Perry So, 1982 in Hongkong geboren, der für das neunte und vorletzte städtische Sinfoniekonzert im Großen Saal der Historischen Stadthalle verantwortlich zeichnet. Ein anspruchsvolles Programm hat der Künstlerische Leiter und Chefdirigent des Orquesta Sinfónica im Norden Spaniens Navarra sowie Musikdirektor des New Haven Symphony Orchestra im US-amerikanischen Bundesstaat Connecticut mitgebracht. Damit sorgt er für einen ausgezeichneten Abend.
Namenlos
Los geht es mit Arvo Pärts „Fratres“ aus dem Jahr 1977, ein Paradebeispiel für die unverwechselbare Musiksprache des 1935 geborenen estnischen Komponisten, genannt Tintinnabuli-Stil. Da der Komponist das Werk ohne feste Besetzung verfasste, gibt es viele Instrumentierungen. Zur Aufführung kommt die Version für Streicher und Schlagzeug, die die städtischen Sinfoniker unter Sos umsichtiger Leitung vom sehr leisen Beginn mit einer ruhig fließenden dynamischen Steigerung dank einer eleganten Nachzeichnung der drei Hauptstimmen zu sonoren tiefen Haltetönen packend zu Gehör bringen.
Anschließend geht es rund 30 Jahre zurück, als 1946 Igor Strawinskys Sinfonie in drei Sätzen (im Original: „Symphony in Three Movements“) von den New Yorker Philharmonikern unter dem Dirigat des Komponisten aus der Taufe gehoben wurde. Er gab ihr bewusst keinen Namen und merkte an: „Der Sinfonie liegt kein Programm zugrunde, es wäre vergeblich, ein solches in meinem Werk zu suchen“. So sind auch die Satzbezeichnungen neutral gehalten. Der erste Satz trägt als Vorschrift allein die Angabe des Tempos: ♩ =160 <♩ =80>. Dann folgen die Ausdrucksvorgaben „Andante“ und „Con moto“. Doch er selbst nannte sein Werk, das mitten im Zweiten Weltkrieg zwischen 1942 und 1945 entstand, „War Symphony“ bzw. „Victory Symphony“. Dieser Dreiteiler kommt unter Sos präziser und detaillierte Leitung äußerst differenziert von der Bühne. Jede noch so komplexe Struktur erklingt selbst im lauten Tutti nuanciert.
Lebensfroh
Weiter wird die Zeit zurückgedreht, bis ins Jahr 1846. Es geht nach Leipzig. Dort erklang damals unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy zum ersten Mal die zweite Sinfonie in C-Dur von Robert Schuman. Auch bei diesem Opus 61 präsentiert sich So als zuverlässiger Dirigent, der mit seinen Arm- und Handbewegungen wie seiner Körpersprache neben exakten Einsätzen seine musikalischen Vorstellungen deutlich vermittelt, die erstklassig vom städtischen Orchester musikalisch umgesetzt werden. Im Eingangssatz werden die vom Leid überschattete langsame Einleitung, anschließend die wehmütige, wellenförmige Melodie und die drängende Ungeduld des zweiten Themas fein zum Ausdruck gebracht. Lupenrein erklingen im Scherzo die schnelle Perpetuum-Mobile Melodie mit ihrer Steigerung hin zum nahezu dämonischen Treiben und die tänzerische Ausgelassenheit beziehungsweise feierliche Würde der beiden Trios. Wie um Tröstung bitten wird das „Adagio espressivo“ gestaltet, worauf es im Finale schwungvoll-lebensfroh zur Sache geht.
Gibt es nach den anspruchsvollen beiden Werken der ersten Konzerthälfte dankbaren Beifall, zeigt sich das Publikum schließlich nach Schumann begeistert und spendet stehend Beifall.
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