Auch „anders“ ist also schwierig. „Warum sagst du das?“ möchte eine junge Schwarze gern Menschen erwidern, sobald diese „Worte wie 'anders' oder 'Ausländer“ auf sie anwenden. Beim Filmabend „Black Lives Matter“ vom Medienprojekt Wuppertal stehen junge Nichtweiße im Fokus – ihre Erfahrungen, Wünsche und Forderungen. Die Vorführung beim „SOMMA“-Kultursommer auf dem Mirker „Dach der Stadt“-Gelände bestätigte eindrücklich: Antirassismus dieser Tage beharrt auf einem Perspektivwechsel.
Wie immer beim vielbeachteten Medienprojekt haben junge Filmemacher:innen eigene Projekte mit professioneller Begleitung realisiert. Diese Ausgabe entstand 2020, im Jahr des Falls George Floyd in den USA. Die Pandemie stoppte den Plan, sie am Tag der Präsidentschaftswahl zu zeigen. Zum Spektrum der filmischen Beiträge nun gehört Dokumentarisches wie zu einer Wuppertaler „Black Lives Matter“-Demonstration, fiktionale Spielszenen und einiges dazwischen.
Der neuere Antirassismusdiskurs, zu dem dieser Akt brutaler Polizeigewalt auch beklemmende Bilder brachte, arbeitet stark mit dem Begriff „white privilege“. Das dreht nicht zuletzt den Spieß um: Machen sonst Nichtweiße die Erfahrung pauschaler Etikettierung, erfährt so nun die hiesige Mehrheitsgesellschaft eine kritische (zudem berechtigte) Zuschreibung.
Viele der Filmbeiträge nahmen das auf: Aus ihnen sprach die Entschlossenheit, sich einer Rolle als „Unterprivilegierte“ zu verweigern und sie selbstbewusst zu kontern. „Hast du gemerkt, dass dein vorgefertigtes Bild einfach nicht der Wahrheit entspricht?“ heißt es im Fazit einer Folge alltagsnaher Szenen. Darunter: Tuscheln vor der Ankunft einer neuen Mitschülerin und Überraschung im Klassenraum, als sie sich als schwarz herausstellt.
Offenbar reale Vorbilder hatten gegen Ende nachgespielte Äußerungen wie ein „Du bist voll schön für eine Schwarze“, die, obwohl hier freundschaftlich gemeint, die Angesprochene kränken mussten. Und der Titel des ersten Films „110 Prozent“ tauchte als Erwartung an Nichtweiße im Verlauf des Abends gleich wiederholt auf: „Du musst mehr leisten“, rät die Mutter dort ihrer Tochter – was dieser freilich nicht hilft: Durch Sticheleien in der Schule fällt sie unangenehm auf, muss nachsitzen und verliert dadurch ihren Job. Nicht „mehr leisten müssen“: Vielleicht ein Privileg, das nur Weiße haben.
Ausgesprochen wird der Begriff etwa bei besagter Demo-Doku: „Es gibt 'white privilege'. Wenn ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, ist das ein sehr großer Schritt.“ Kombiniert und damit konkretisiert wird der Anlass der Kundgebung mit spontanen Erfahrungsberichten – Botschaft: Nicht nur im fernen Amerika werden Nichtweiße angegriffen, zumindest Willkür von Seiten der Polizei erleben sie auch hier im Alltag ständig. Verschont bleiben Weiße auch von gleichfalls gezeigten tätlichen Nazi-Attacken gegen vermeintliche „Kanaken“, aber auch von üblen Sprüchen im Schulflur wie „Habt ihr eure ganze Familie hier stehen?“ Gut, auf all das hinzuweisen.
Aber: Zum Perspektivwechsel kommt manchmal Sendungsbewusstsein. Es fallen Wörter wie „Expertise“ und die Mahnung, so viele Nichtweiße stellten den Unwissenden heute doch „Weiterbildungsangebote“ bereit. Wem das dann doch leicht oberlehrerhaft klang, der mochte auch ein Fragezeichen setzen, wenn eine junge Frau insistierte: „Man muss sich nicht immer erklären!“ Denn was bleibt dann – gehorchen? Wenn eine schwarze Aktive berichtete, eben habe man ihren Ausweis sehen wollen, und schon das als klaren Beweis für Alltagsrassismus sah, mochte in den Sinn kommen: Sichtwechsel ist subjektiv und heißt nicht immer, dass es auch „stimmt“.
Doch einleuchtend rund um Rassismus bleibt: Der Blick Betroffener kann den „weißen Blick“ schärfen. Eine weiße Zuschauerin bekannte nachher, auch sie stecke oft in einer gedanklichen „Blase“: „Momente wie diese zerstören meine 'bubble'. Ich genieße das.“ Und der weiße Autor dieser Zeilen, den mancher Szenenschluss durchaus erheiterte, wie eine witzig-unkorrekte Sketch-Pointe, ahnte: So mancher im Publikum kennt derlei selbst aus leidvoller Erfahrung. Ganz im Ernst.
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