August 2011: In London, Liverpool, Birmingham und anderen englischen Großstädten erschüttert eine Serie von gewalttätigen Ausschreitungen die Öffentlichkeit. Über mehrere Tage kommt es zu Verletzten, Brandanschlägen und vor allem Plünderungen. Vor allem letzteres charakterisiere das Phänomen der Riots, wie Joshua Clover, Professor an der Boston University, in seinem Buch „Riot. Strike. Riot: The new Era of Uprisings“ analysiert: Anders als Streiks, in denen es um Lohnforderungen ging, sind diese Krawalle eine unmittelbare Reaktion auf dringende Verteilungsprobleme.
Umso virulenter ist der Diskurs über diese Verteilungsfragen. Ein Vorschlag, der immer wieder im Raum steht, um Fairen Handel zu gewährleisten, ist die Sharing Economy. Das Prinzip: Statt Waren auf dem Markt anzubieten, werden sie temporär zum Tausch zur Verfügung gestellt. Kollaborative oder auch Plattform-Ökonomie lauten die Schlagworte.
Umgesetzt wird dieses Konzept in der ostenglischen Universitätsstadt Norwich. Die abgeschiedene Kommune mit 190.000 EinwohnerInnen wirbt mit einer Non-Profit-Kampagne. Selbsterklärtes Ziel: Bis zum Jahr 2020 Großbritanniens führende Sharing City werden. Dafür soll ein Stadtnetz ausgebaut werden, das eine kollaborative Ökonomie gewährleistet. Neben der Zusammenarbeit mit anderen Städten soll dafür digitale Technologie genutzt werden, damit EinwohnerInnen – nach dem Vorbild von Airbnb, Uber, deliveroo und Co. – auf Güter, Wissen und andere Services auf Netzwerken zugreifen können.
Mit dem Projekt sollen Verteilungsfragen gelöst und eine starke, lokale Ökonomie gewährleistet werden. „Norwich Sharing City“, so der eigene Vermarktungsslogan, will dafür Kommunen, Institute und Unternehmen zusammenbringen, um die Ziele gemeinsam zu definieren. Denn nebenbei soll die Sharing Economy Wachstum garantieren: lokale und internationale Unternehmen sollen gefördert, neue Investoren angelockt werden.
Genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister: Schafft die Sharing Economy wirklich eine bessere, soziale Welt? Ökonomen wie Jeremy Rifkin oder Paul Mason malen das Bild von einem Wirtschaftssystem im Niedergang, an dessen Stelle eine Gesellschaft mit kostenlosen bzw. Tauschgütern rückt. Und tatsächlich: Auf Tauschnetzwerke greifen immer mehr Menschen zurück.
Aber nicht nur die NutzerInnen steigen. Auch InvestorInnen pumpen immer mehr Kapital in den Sharing Markt, während die Proteste gegen Uber, Airbnb und Co. zunehmen. Denn statt ein solidarisches Teilen zu fördern, stiften sie einen kollaborativen Konsum. Kurz: Menschen stellen temporär Waren für Menschen zur Verfügung, die sowieso Zugang zu Marktgütern haben. Prekär Beschäftigte und Abgehängte bleiben, wie oft kritisiert, außen vor. Und so werden sie weiterhin mit Krawallen auf diese Verteilungsprobleme reagieren. Das beschauliche Norwich mit seinem mittelalterlichen Charme wird davon sicherlich verschont bleiben.
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