Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
2 3 4 5 6 7 8
9 10 11 12 13 14 15

12.582 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

Das war übertrieben
Foto: Thomas Hansen / Adobe Stock

Drogenkranke nicht mehr kriminalisiert

30. September 2020

25 Gramm Cannabis pro Person sind seit 2001 eine Ordnungswidrigkeit – Europa-Vorbild: Portugal

Cannabis sei kein Brokkoli, betonte die Bundesdrogenbeauftragte Daniela Ludwig im Interview. Eine „Volksdroge Nummer drei“ (hinter Alkohol und Tabak) möchte die CSU-Politikerin verhindern. Deswegen wolle sie an der Verbotspraxis festhalten, obwohl sie eine Drogenpolitik nach dem portugiesischen Modell irgendwann für denkbar halte.

Portugal gilt mit einer liberalen Drogenpolitik europaweit als Vorreiter. Bereits 2001 wurde das Gesetz „Lei n.º 3 30/2000“ verabschiedet, das Besitz und Konsum von Drogen entkriminalisierte – zumindest bis zu einer Menge von zehn Tagesrationen. Das entspricht laut portugiesischem Gesetzgeber 25 Gramm Cannabis. Die Liberalisierung gilt auch für „harte“ Drogen: zehn Pillen LSD oder Ecstasy, zwei Gramm Kokain oder ein Gramm Heroin bzw. Crystal Meth. Wer beim Besitz oder Konsum dieser Drogen erwischt wird, begeht keine Straftat, sondern eine Ordnungswidrigkeit – ähnlich wie beim Falschparken. Portugal etablierte damit keine Legalisierung, sondern eine Entkriminalisierung. Wird die tolerierte Menge überschritten, werden Drogenbesitzer:innen wegen Handels strafrechtlich belangt. Folgenlos bleibt es auch nicht für die Konsumierenden einer ordnungswidrigen Dosis.

Wer erwischt wird, wird zum „Ausschuss zur Bekämpfung der Drogensucht“ vorgeladen. Jurist:innen, Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen schätzen ein, wie problematisch der Drogenkonsum der Person ist. Zudem klären sie über Gefahren auf und bieten Therapien an. Landet wer zum zweiten Mal vor diesem Ausschuss, drohen Bußgelder oder Sozialstunden. Portugals Prinzip ist simpel wie vielversprechend: Statt auf Kriminalisierung setzt der Staat auf sozialmedizinische Hilfe und Prävention. Law&Order-Politiker:innen prophezeiten ein Straßenbild voller kiffender Kids oder fixender Junkies. Doch das Gegenteil ist eingetreten: Statistiken der Transform Drug Policy Foundation und des Europäischen Drogenberichts untermauern, dass der Griff zu den Drogen seit 2001 langsam zurückgegangen ist.

Die Liberalisierung erwies sich auch als erfolgreicheres Konzept gegen die Drogenkriminalität. Durch die bloße Einstufung als Ordnungswidrigkeit gingen die Haftstrafen zurück. Gerade das erweist sich bei vielen Abhängigen als Ausweg: Werden sie umgekehrt strafrechtlich verfolgt, bleibt die Sucht bestehen. Gesellschaftliche Folge ist eine erhöhte Beschaffungskriminalität, während den Individuen eine soziale Abwärtsspirale droht.

Deutlich fällt der Rückgang des Drogenkonsums bei Jugendlichen aus: Fünf Prozent der 15- bis 24-Jährigen zogen 2001 noch Kokain. Elf Jahre später fiel der Konsum auf null Prozent. Vielversprechend sieht es auch bei Marihuana aus: 2012 inhalierten es nur noch 3,4 statt 5,5 Prozent, wie vor der Einführung des Gesetzes. Gerade das Kiffen unter Minderjährigen gehört zu den Streitpunkten in der bundesdeutschen Drogenpolitik und ist einer der meist hervorgebrachten Gründe gegen eine Entkriminalisierung von Gras und Haschisch.

Gerade bei Jugendlichen können bei regelmäßigem Konsum Einschränkungen der kognitiven Entwicklung eintreten. Auch bei Erwachsenen gehören Abhängigkeiten oder – je nach Veranlagung – sogar Psychosen zu den gesundheitsschädlichen Folgen. Gleichzeitig wird Cannabis als Medizin anerkannt, die gegen Rezept in Apotheken ausgehändigt wird, etwa als Schmerztherapie. Regelmäßig stießen auch Fraktionen in den letzten Jahren immer wieder vor. Ihre Forderungen: eine Legalisierung von Cannabis wie etwa in Kalifornien oder zumindest eine Entkriminalisierung wie in Portugal.


Schmerzbetrug - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema

Aktiv im Thema

www.naturheilbund.de | Der 1889 gegründete Dachverband deutscher Naturheilvereine vertritt als Laienverband die Interessen seiner Mitglieder in Gesundheitspolitik und -bildung.
www.dgpsf-verein.de | In der Deutschen Gesellschaft für psychologische Schmerztherapie und -forschung e. V. versammeln sich Psychologen, die im Schmerzbereich und in der Behandlung von Patienten mit chronischen Schmerzen arbeiten.
www.schmerzgesellschaft.de | Die Deutsche Schmerzgesellschaft e.V. versteht sich als größte wissenschaftliche Schmerzgesellschaft Europas. Sie setzt sich ein für die Förderung von Schmerzforschung und -therapien.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de

Benjamin Trilling

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Vaiana 2

Lesen Sie dazu auch:

Oh weh!
Intro – Schmerzbetrug

Gymnastik mit Gefühl
Der Verein für Gesundheitssport und Sporttherapie Köln

Erste Hilfe beim Einstieg in den Ausstieg
Die Drogenhilfeeinrichtung Kick in Dortmund bietet Betreuung und Konsumräume

Die unterschätzte Gefahr
Das Blaue Kreuz Wuppertal zeigt Wege aus der Sucht

„Naturmedikamente sind nicht harmlos“
Mediziner Marc Werner über Naturheilkunde und Integrative Medizin

„Das sind keine ungefährlichen Substanzen“
Schmerzmittelforscher über Schmerzmittel im Hobbysport

„Schmerz hat einen Sinn“
Mediziner über Opioide in Deutschland

Aus Sicht des Betroffenen
Was kein Schmerz aushält – Glosse

Heillos
Schulmedizin oder Alternativmedizin? Warum nicht einfach „und“ statt „oder“?

Ibuprofen wie Smarties
Fatale Folgen bei unreflektiertem Umgang mit Schmerzmitteln

Auf Tilidin in die Charts
Ist der Hip-Hop schuld am wachsenden Medikamentenmissbrauch?

Europa

HINWEIS