Es reicht heute bei Weitem nicht aus, historische Instrumente zu besetzen, um dem Original-Klang Alter Musik auf die Spur zu kommen. Außerdem haben die Jahrzehnte aktiver Forschung in der Aufführungspraxis gezeigt, dass auch Werke neueren Datums oft ein erfrischend luftiges Klangbild ohne waberndes Vibrato mit Gewinn verbuchen – und das ist keine Erfindung der Jetztzeit.
Im Rahmen der musikalischen Feiern zum 35-jährigen Bestehen der Kölner Philharmonie (das Feiern konzentriert sich in pandemischer Zurückhaltung auf ausgesuchte Programmhöhepunkte) soll in diesem Herbst das „Rheingold“ gehoben werden, der Vorabend zur Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“, Richard Wagners Vermächtnis auch an Bayreuth – aus historisch informiertem Blickwinkel.
So umschreibt der amerikanische Dirigent Kent Nagano das Anliegen. Mit dem Spezial-Orchester „Concerto Köln“ und teilweise Wagner-untypischem Solisten-Ensemble als Bühnenpersonal sucht Nagano eine der Wagner-Zeit angemessene Lesart. Um nur ein Detail in diesem Versuch anzusprechen, möchte ich eine kleine Zeitreise in Wagners Tage unternehmen und die Funktion des Dirigenten beleuchten.
Weber, Spohr, Spontini oder Mendelssohn wirkten in diesen Tagen an den wenigen festen Stellen für Dirigenten, die im Gegensatz zu heute keine papstähnlichen Maestri waren. Das Dirigat wurde geduldet als „notwendiges Übel, da es für die Zuhörer als störend empfunden wird“, so die führende Musikzeitung von 1836. Wer den „Kommandostab“ zu eifrig nutzte, vielleicht sogar mit dem Temperament heutiger südamerikanischer Pulttänzer auftrumpfte, wurde schnell der Eitelkeit und des Wichtigtuns bezichtigt. Es gibt unter den zahlreichen Skizzen und Karikaturen über Wagner nur eine, die die Bewegung des linken Arms dokumentiert – ein Ausbruch?
Solche Spezialfragen klärte im Vorfeld der musikalischen Umsetzung die Kunststiftung NRW in Symposien zum Projekt, die Dirigentenfrage untersuchte dazu der ehemalige Kölner Universitätsmusikdirektor Dieter Gutknecht. Allein in diesem Punkt kann es nur spannend zugehen, wie Kent Nagano auf solche Erkenntnisse reagieren wird: ruhender Pol im Kommandositz? Wer tiefer in die Materie eindringen möchte, kann die historische Wagner-Lesart im Netz nachvollziehen.
Wagners „Rheingold“ | 18.11. 20 Uhr | Kölner Philharmonie | 0221 28 02 80
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