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Ernst Ludwig Kirchner „Vier Badende“, 1909/10
Von der Heydt-Museum

„Es war ein Aufbruch zu einem neuen Denken“

22. Oktober 2021

Roland Mönig zu „Brücke und Blauer Reiter“ – Sammlung 10/21

engels: Herr Mönig, ganz genau genommen war der Blaue Reiter doch eigentlich keine Künstlergruppe, sondern mehr so ein Marketing-Ding, oder?

Roland Mönig: Wenn man es noch ein bisschen mehr zuspitzt, ist der Blaue Reiter nur ein Buch, das sich zwei Leute ausgedacht haben. Die haben sich auch gerne selbst die Diktatoren genannt und das sind Franz Marc und Wassily Kandinsky gewesen. Um sich herum haben sie eine sehr disparate, aber auch sehr spannende Schar von Künstlern versammelt, nicht nur bildende Künstler, auch aus anderen Disziplinen. Es waren Komponisten dabei, sogar Kunsttheoretiker und Kunstkritiker. Und die haben sie aufgerufen, sich an einem so genannten Almanach zu beteiligen und der hieß eben „Der Blaue Reiter“. Der hat sich dann danach in zwei Ausstellungen manifestiert, als eine Art Künstlergruppe. Beide Ausstellungen hatten auch Marc und Kandinsky aus der Taufe gehoben. Sie sind in relativ schneller Folge Ende 1911, Anfang 1912 vielfach durch Deutschland gereist, aber das war es dann auch. Es ist ein sehr merkwürdiges Phänomen, aber auch eines der erfolgreichsten und folgenreichsten in der deutschen Kunstgeschichte des frühen 20. Jahrhunderts.

Roland Mönig
Foto: Andreas Fischer
Zur Person: Museumsdirektor Roland Mönig wurde 1965 in Bochum geboren und studierte Kunstgeschichte, Alt- und Neugermanistik. 1994 promovierte er zum Thema „Franz Marc und Georg Trakl – Ein Beitrag zum Vergleich zwischen Malerei und Literatur des Expressionismus“. Er ist seit 2013 Direktor des Saarlandmuseums und leitet seit 2020 auch das Von der Heydt-Museum.

War das damals auch so ein esoterischer Impuls, wenn man an Kandinskys Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ denkt?

Das Esoterische war eine Grundstimmung um 1900. Es war auch ein Aufbruch zu einem neuen Denken, das auf der einen Seite stark durch die Wissenschaft geprägt war, von neuen Vorstellungen von der Welt und dem Menschen, auf der anderen Seite suchte man aber auch neue Lösungen für neue und auch alte Fragen, bei Geheimlehren und spiritistischen Vorstellungen, bei neuen esoterischen Lehren, die Moderne hat also da ein Janusgesicht. Die ist nicht rational, wie wir immer denken, sondern sie hat auch diese irrationale Seite – das macht sie eben auch spannend – und die prägt ja auch sehr stark den Aufbruch in eine neue Farb- und Formenwelt wie die des Expressionismus.

Die Brücke um Kirchner, Heckel und Schmidt-Rottluff war da ein bisschen anders gestrickt. Die hatten bereist 1905 die Gruppe als Geschäftsmodell entwickelt, mit aktiven und passiven, aber zahlenden Mitgliedern.

Ja. Das war auch ein Marketingmodell, etwas bodenständiger als das Münchner, die Brücke entsteht ja in Dresden, und zu einem bestimmten Punkt wandert man nach Berlin. Eine Wanderung in die Hauptstadt, die auch heute viele Künstler machen. Die Idee hinter der Brücke war eine ähnliche, die wollten sich selbst propagieren, die wollten auch Marketing in eigener Sache machen. Die haben ein schönes Geschäftsmodell gefunden, die hatten nämlich einen Verein für das Neueste in der Kunst im Kopf, mit den aktiven Mitgliedern, das war der harte Kern, später kommt noch Max Pechstein als wichtige Figur hinzu, aus dem Nordischen Akseli Gallen-Kallela oder Edvard Munch, mit dem man sich seelenverwandt fühlte. Dann sind die passiven Mitglieder dabei. Das waren einfache Leute, aber auch Leute aus der gehobenen Gesellschaft, Kunstsammler, Kunstkritiker, die dann alle ihre Mitgliedsbeiträge bezahlt haben. Damit haben die Brücke-Künstler durchgängig fast acht Jahre ihre Ausstellungen organisiert, ein viel beständigerer Verein als der Blaue Reiter. Aber auch ein Verein mit einer weniger vergeistigten Grundhaltung, weniger intellektuell.

Das Programm, was die damals aufgestellt haben, was es als Holzschnitt gab, das könnte man auch heute wieder drucken, oder?

Das ist der Witz dabei. Das Marketing der Brücke war viel bodenständiger, weil es ganz allgemein das beschreibt, was jede Generation immer neu für sich als Aufbruch definieren würde. Abstoßen des Alten, Kennenlernen des Eigenen und dann auch dazu zu stehen. Das ist die Botschaft. Das ist tatsächlich generationenübergreifend.

Warum sind ausgerechnet Kirchners „Vier Badende“ im Internet der große Aufmacher?

Das kann ich Ihnen sagen: Weil wir ein bisschen auch auf unsere eigene Sammlung hinweisen wollen. Das ist eine Ausstellung über ein Thema, das gut 20 Jahre nicht mehr behandelt worden ist. Wir haben aber gesagt, wir machen das nicht als „lone rider“ – aus der Partnerschaft und dem Kontakt mit den anderen Häusern ist erst die Idee geboren worden. Dann kommen die eigenen Sammlungen in besonderem Maße zur Geltung.

Brücke und Blauer Reiter | 21.11. - 27.2.22 | Von der Heydt-Museum Wuppertal | 0202 563 62 31

Interview: Peter Ortmann

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