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Lothar Baumgarten, Kultur – Natur, 1971 (C-Print, 50,2 x 60,7 cm), Sammlung Lothar Schirmer
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024

„Er hat sehr feinsinnige Arbeiten erschaffen“

27. Februar 2024

Kunsthistorikerin Anna Storm über die Ausstellung zu Lothar Baumgarten im VdH-Museum – Interview 03/24

Im Interview spricht die Stellvertretende Museumsdirektorin des Wuppertaler Von der Heydt-Museums über die Ausstellung „Land of the Spotted Eagle“, die Arbeiten des Künstlers Lothar Baumgarten (1944-2018) zeigt.

engels: Frau Storm, leichte Kost ist Lothar Baumgarten nicht gerade.

Anna Storm:
Das stimmt. Die Werke von Lothar Baumgarten sind sehr komplex, sehr vielschichtig, weil er immer sehr unterschiedliche Medien verwendet hat. Er arbeitete mit Fotografie, Installation, aber auch mit Objekten, die er skulptural kombiniert, mit sehr viel Text und mit Schriftzügen. Baumgarten selbst war ein intellektueller Künstler, der sich eben auch mit komplexen Wissensgebieten beschäftigt hat, darunter auch ethnografische Themen. Das alles spiegelt sich in den Werken natürlich deutlich wider. Aber die Besucher:innen müssen sich schon ein bisschen darauf einlassen.

Anna Storm
Foto (Ausschnitt): Antje Zeis-Loi
Zur Person: Die Kunsthistorikerin Anna Storm ist seit 2017 als Kuratorin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Von der Heydt-Museum tätig. Im November 2023 übernahm sie die Funktion der Stellvertretenden Direktorin. Sie studierte Kunstgeschichte und Medienwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und promovierte 2019 an der Leuphana Universität Lüneburg.

Seine drei Irrlichter leuchten seit 1987 in Münster?

Genau. Die hängen an der Südseite des St.-Lamberti-Kirchturms an den Eisenkörben der Täufer in 60 Metern Höhe.

Es sind u.a. diese Arbeit und die im Bundespräsidialamt, die in der Öffentlichkeit seinen medialen Stellenwert begründet haben, oder?

Sicher sind auch die vier Teilnahmen an der Documenta in Kassel ganz wesentlich, aber was ich besonders wichtig finde, ist sein Beitrag für die Biennale in Venedig 1984, „America Señores Naturales“, für den er dann auch den Goldenen Löwen erhielt. In den 1980er und 90er Jahren war Baumgarten sehr bekannt und damals einer der prägendsten deutschen Künstler.

Was ist denn in Wuppertal vom Land, in dem der Adler gesichtet wird, zu sehen?

Sie spielen auf den Titel an. Also wir zeigen Werke aus der Sammlung von Lothar Schirmer, mit dem wir ja auch vor einigen Jahren eine Ausstellung zu Beuys und Ute Klophaus realisieren konnten. Schirmer hat einen wunderbaren Bestand an Werken, die wir jetzt nach Wuppertal holen können. Wir zeigen auch Fotografien, die im Amazonas entstanden sind – Baumgarten hat ja 18 Monate dort mit zwei verschiedenen Gemeinschaften der Yanomani gelebt. Das ist ein großer Schwerpunkt in dieser Ausstellung. Dieser Blick auf Südamerika, aber auch Nordamerika ist etwas, das sich im Titel der Ausstellung „Land of the Spotted Eagle“ wiederfindet: die Feder, der Adler. Die vielleicht bedeutendste Arbeit der Ausstellung wird eine große Installation aus verschiedenen Adlerfedern sein, die an der Wand in Form der Landkarte der USA arrangiert sind. Dann gibt es noch weitere Arbeiten, in sich aus Federn zusammensetzen, ein Werk heißt „Vom Ursprung der Tischsitten“ von 1971, da sieht man einen Tisch und anstelle von Besteck liegen da rechts und links neben den Tellern Federn. Die Auseinandersetzung mit Objekten gibt es bei Baumgarten immer wieder, mit Fundobjekten wie den Federn, und wir haben auch eine Arbeit mit einem Weidenzweig. So etwas verwendet er in seinen Werken und befragt, woher kommen diese Objekte, mit was werden sie assoziiert und verknüpft, wenn Betrachter:innen sie anschauen. Jemand, der beispielsweise aus Deutschland kommt, hat andere Verknüpfungen als jemand, der aus Südamerika kommt. Solche eben auch kulturellen Prägungen hinterfragt Baumgarten. Das ist ein kritischer, auch politischer Ansatz, und deswegen finde ich ihn wahnsinnig aktuell heute.

Das passt auch in die aktuelle Stimmung der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit in Europa.

Absolut. Man spricht ja heute auch viel über die Auswirkungen des Kolonialismus – auch in Südamerika. Baumgarten hat Arbeiten gemacht, in denen er die Namen von indigenen Stämmen integriert, aber diese Namen stammten von US-amerikanischen Kolonialherren. Da geht es um die Macht der Benennung. Baumgarten hat sehr feinsinnige, sehr subtile Arbeiten erschaffen, bei denen man nicht immer unbedingt auf den ersten Blick erkennt, was sich für ein Spektrum an Themen dahinter verbirgt.

Wie bereitet das Museum eine so intellektuelle Kunst für die Besucher:innen auf?

Wir wollen die Besuchenden damit nicht alleine lassen. Wir haben uns dazu entschieden, zu der Ausstellung einen Multimedia-Guide anzubieten, in dem jedes Werk mit Foto und Text erklärt wird, und wollen das so auf einer Vermittlungsebene gut begleiten. Die Ausstellung von Lothar Baumgarten ist ja eingebettet in unsere Sammlungspräsentation „Zeiten und Räume“, die wir zeitgleich eröffnen, und soll so eine Art Intervention darstellen. Teilweise werden die Werke von Baumgarten nicht nur in dem Ausstellungsraum, sondern in der Sammlung selbst gezeigt. Wir haben auch einige Materialien von Baumgarten, der 2018 verstorben ist, von Lothar Schirmer erhalten. Briefe, Korrespondenzen, aber auch Schriften, die Baumgarten zu den einzelnen Werken verfasst hat und die wir dann mit vermitteln. Baumgarten hat immer viel geschrieben.

Wie kam die Ausstellung zustande?

Wir haben nach einem zeitgenössischen Künstler oder einer Künstlerin gesucht, um im Grunde genommen eine Leerstelle zu schließen. Wir wollten die Sammlung neu präsentieren, und es war klar, dass unsere Werke von Picasso und Beckmann in dieser Zeit in Hannover zu Gast sein werden, wir haben die Ausstellung „Mensch - Mythos – Welt“ im Kooperation mit dem Sprengel Museum gemacht. Durch die Leihgaben ist eine Lücke entstanden. Ich fand es gut, dass es in der Sammlung etwas Neues, etwas Frisches gibt, damit sie mit anderen Augen gesehen werden kann und die Perspektive auf aktuelle Themen gelenkt wird.

Baumgarten ist seit sechs Jahren tot. Kann es sein, dass er in der letzten Zeit nicht ausreichend gewürdigt worden ist?

Er ist auf jeden Fall wenig präsent in den letzten Jahren. Tatsächlich wird diese Einzelausstellung im Von der Heydt-Museum die erste museale Ausstellung nach seinem Tod sein, also auch die erste größere Würdigung. In den 1980er Jahren war er am bekanntesten, mittlerweile gibt es auch viele Menschen, die mit Baumgartens Kunst nicht vertraut sind. Die Ausstellung wird sicher auch eine Art Neu- und Wiederentdeckung sein.

Lothar Baumgarten: Land of the Spotted Eagle | 24.3. - 1.9. | Von der Heydt-Museum Wuppertal | 0202 563 62 31

Interview: Peter Ortmann

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