Er ist jung gestorben, 25jährig, also bald 200 Jahre tot – und doch lebendig. Seine Märchen kennen und mögen Kinder ebenso wie Erwachsene. Der 1802 geborene Wilhelm Hauff ist noch heute berühmt. Vor allem wegen seiner besonderen Art zu beschreiben, dieser Erzählkunst, die prickelnde Gänsehaut und wohlige Gefühle gleichzeitig auslöst. „Wenn jemand bewusst dichtet, Märchen dichtet, dann ist ein Wunder geschehen. Meines Wissens in der Literatur nur zweimal: bei Andersen und bei Hauff“, befand Kurt Tucholsky. Gelegenheit, den so gerühmten Dichter neu zu entdecken, bietet „Das kalte Herz“. Die Premiere ist am 13. November.
Geld in märchenhafter Aura
„Das Stück haben wir ausgewählt, weil es ein Märchen ist. Wir wollten genau einen so märchenhaften Stoff haben und setzen alles daran, es märchenhaft zu gestalten“, erklärt Philip Stemann ein wesentliches Auswahlkriterium für das diesjährige Weihnachtsstück. Als spannende Fabel mit unerklärlichem Zauber beschreibt der Regisseur, der erstmalig in Wuppertal inszeniert, Hauffs Erzählung, die 1827 erschien und, obwohl reich an Jahren, erstaunlicherweise in manchen Belangen nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Zentrales Motiv ist das Geld. Schon in der Eingangsszene geht es um das „unmenschlich viele Geld“, das vormals arme Jungs wie der dicke Ezechiel, der lange Schlurker und der Tanzbodenkönig auf wundersame Weise machen. Voller Neid denkt Peter Munk, genannt Kohlenmunk-Peter, weil er als Köhler im Wald lebt, an sie. Er will auch reich sein, weil ihm das die Lösung aller Sorgen zu sein scheint, weil er glaubt, dann unbeschwert und glücklich zu leben. Zwar wird gewarnt, „jetzt, seit so viel Geld im Land ist, sind die Menschen unredlich und schlecht“. Denn irgendwie ist der plötzliche Reichtum nicht geheuer – „er geht auf Kosten ihrer armen Seele“, wie es bei Hauff prosaisch heißt. Aber papperlapapp, den ominösen Spuk drumherum ignoriert der bis dahin herzensgute Peter.
Steinreich und gefühlskalt
Das Glasmännlein gewährt ihm drei Wünsche, damit fängt das Unglück an. Denn Peter kann nicht umgehen mit seinem plötzlichen Reichtum, er schlägt schließlich seine Frau tot, nur weil sie einem Bettler Wein und Brot gegeben hat. Aus einem unbescholtenen Handwerker ist ein Kapitalist geworden, der den lebendigen Muskel in seiner Brust durch einen Stein hat ersetzen lassen, damit er kein Mitleid mehr spüren muss. Willkommen in der Gier-Gesellschaft. „Das ist ein sehr jetziger Bezug: es wird alles am Geld gemessen“, erläutert Dramaturg Sven Kleine. „Das Märchen simplifiziert, aber warum nicht?“, hakt Philip Temann nach. Reich zu sein und den guten Charakter zu behalten, an dieser Transferleistung zerbricht der Kohlenmunk-Peter.
Aufbruch, Stationen und letztlich eine Erkenntnis, diese klar strukturierten Motive waren es, die Philip Stemann interessieren. In der Ausstattung Christian Müllers begibt sich der Zuschauer in eine Zauberwelt, in der alles andere als fade und ideenarme Figuren rätselhafte Auftritte haben. Das von Wilhelm Hauff beschriebene Urmotiv, der Pakt mit bösen Mächten, wird hier eine Märchenexegese in Zeiten des Turbokapitalismus. Der Holländer-Michel verkörpert den Über-Kapitalisten, ist zwar irgendwie suspekt, aber wegen seines Muts – er geht neue Wege – und seines Erfolgs – er macht jede Menge Kohle – gleichzeitig faszinierend, trägt Verführerzüge und hat Kumpelhaftes. Das Glasmännchen dagegen gemahnt zwar des Echten, Guten und Wahren, ist aber keine reine Sympathiefigur, sondern wegen seiner moralinsauren Züge irgendwie auch ein schmallippiger Biedermann.
Am Ende sind alle wichtigen Zitate und Motive aus Hauffs Kosmos in der Stemannschen Interpretation gut aufgegriffen und fein umgesetzt. Der vom Autor als „wunderlich“ beschriebene Schwarzwald mit seiner märchenhaften Aura kommt mystisch düster auf die Bühne, das sagenhafte Schrumpfen und Wachsen einzelner Figuren oder Körperteile, ebenso wie eine rasante Fahrt in einen tiefen Schlund werden als besondere Effekte auf die Bühne gebracht. Auch eine „Übersetzung für die schlagenden Herzen“, jene Trophäen, die der teuflische Holländer-Michel seinen Opfern abknüpft und sorgfältig etikettiert in seiner Behausung aufreiht, hat der Regisseur gefunden.
„Geld macht nicht glücklich, viel Geld schon“, behauptete der englische Dramatiker George Bernhard Shaw. Was es damit, der Kunst des richtigen Wünschens und hübschen Illusionen auf sich hat, wird mit sehr klarer Sicht auf die Menschen in Philip Stemanns Inszenierung erzählt.
Das kalte Herz: Premiere Sa, 13.11., 18 Uhr
Oper Wuppertal I 0202 569 44 44
Inszenierung: Philip Stemann I Bühne und Kostüme: C.R.Müller
Dramaturgie: Sven Kleine
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