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Katharina Kastening
Foto: Victoria Ushkanova

„Das passiert natürlich auch ganz nah“

28. Mai 2025

Regisseurin Katharina Kastening über „Thumbprint“ am Opernhaus – Premiere 06/25

Die Oper von Kamala Sankaram befasst sich mit der Geschichte der pakistanischen Frauenrechtlerin Mukhtar Mai. Sie erlangte Bekanntheit, als sie eine Vergewaltigung durch mehrere Männer zur Anzeige brachte. Trotzdem wurden die Täter nach neun Jahren freigesprochen. 

engels: Frau Kastening, Vergewaltigungen im patriarchal geprägten Pakistan der Gegenwart, ist das der richtige Stoff für eine Kammeroper?

Katharina Kastening: Ich denke ja. Zumindest für eine moderne Kammeroper. Das Thema ist ein sehr intimes, aber natürlich auch ein sehr schreckliches. Man könnte das Stück auf einer großen Opernbühne so nicht spielen, es würde nicht so nahe gehen. Deshalb benutzen wir auch nicht den Zuschauerraum und den Orchestergraben im Opernhaus, sondern wir spielen das mit geschlossenem Eisernen Vorhang und dem Publikum auf der Bühne. Es hat sich sofort nicht richtig angefühlt, das in so einer Weite zu spielen. Und jetzt ist es auch der richtige Stoff dafür, den man ja ganz nah miterleben muss und sich nicht so distanziert anschauen kann.

Wie groß sind die Einflüsse der nordindischen Hindustani-Oper – und wie integriert man die nordindischen Instrumente?

Die Musik ist so eine Mischung aus modernen Kompositionen, wie man sie beispielsweise vonPéter Eötvös kennt, mit pakistanisch-indischen Einflüssen. Gespielt wird natürlich mit einem Kammerorchester, in das die traditionellen Trommeln integriert werden. Für diese Tabla musste natürlich jemand extern engagiert werden, weil das vom Orchester nicht besetzt werden konnte. Aus diesen Einflüssen entsteht natürlich eine spannende Mischung aus beiden Musikrichtungen. 

Angesichts von fast täglichen Femiziden im patriarchal geprägten Deutschland sind wir ja nicht weit weg von dieser Barbarei, oder?

Absolut – und das ist interessant, dass sie das sagen, denn genau das wollen wir auch miteinbeziehen. Natürlich steht die Geschichte von Mukhtar Mai im Mittelpunkt der Inszenierung, das sollte auch nicht anders sein, aber sie wird auch für viele andere Ungerechtigkeiten wirken. Meiner AusstatterinBettina John und mirwar besonders wichtig darauf zu achten, dass das Publikum nicht denken kann, gut, das ist so eine schreckliche Geschichte von vor 20 Jahren, die in Pakistan passiert ist. Bei uns passiert so etwas nicht. Aber das passiert natürlich auch ganz nah. Als wir die Konzeption gemacht haben, war gerade die schreckliche Geschichte vonGisèle Pelicot in den Nachrichten. Oft hört man immer nur von so genannten Ehrenmorden, die weit weg in anderen Kulturkreisen passieren, aber diese passierte im Nachbarland nicht weit weg, und das wollen wir mit hineinbringen, die Geschichte vonMukhtar Mai öffnen. 

Wie dramatisch wird ihre Inszenierung?

Das Stück ist so aufgebaut, das es am Ende beginnt, die erste Szene ist die große Pressekonferenz mit Mukhtar Mai nach dem Prozess. Da waren plötzlich aus ganz vielen Ländern und von großen Tagezeitungen Reporter da, die sich für ihre Geschichte interessierten und darüber berichten wollten. Von dieser Massenveranstaltung geht es dann zurück an den Anfang, und man erfährt, was passiert ist und wie sie gelebt hat. Nach dieser schrecklichen Sache entwickelt sich das dann weiter und weiter, wir zeigen, wie sie das überwältigt hat und wie sie dann damit umgeht, bis die Inszenierung wieder an diese Reportermasse ankommt. Wir haben für diese große Geschichte eine eher kleine Besetzung. Alle Sängerinnen und Sänger wechseln dafür immer die Rollen, außer der von Mukhtar Mai.Sharon Tadmor steht im Mittelpunkt und wird auch immer auf der Bühne sein, die anderen haben da drei oder vier Personen, die sie im fliegenden Wechsel spielen müssen.

In der Ankündigung steht, die Oper gäbe Hoffnung, denn sie handele von wiederhergestellter Gerechtigkeit. Juristisch gab es aber kein Happy End. Ist das Libretto da nicht unvollständig?

Ich würde nicht sagen, dass es unvollständig ist, denn es erzählt, auch wenn ihre Vergewaltiger später juristisch wieder auf freien Fuß gesetzt wurden, dass Mukhtar Mai trotzdem ihre Schule aufgemacht hat, sie wohnt immer noch im selben Dorf, sie wollte da nicht weggehen und hilft nun den anderen Frauen und Mädchen, dass sie sich auch durch Bildung und Intelligenz vor diesen Ungerechtigkeiten schützen können. Insofern ist das das Happy End, zu zeigen, egal was eine strenge patriarchale Gesellschaft einem zufügen will, kann man trotzdem dagegen kämpfen, und wenn man es juristisch nicht schafft, dann schafft man es vielleicht auf andere Art und Weise. Auch das gibt Hoffnung.

Warum haben in bestimmten Regionen Männer so eine Angst vor der Bildung von Frauen?

Vielleicht haben sie Angst davor, dass die Frauen ruhiger und rationaler handeln als sie selbst. Dabei handelt es sich dann nicht immer um Machtkämpfe, sondern eher um eine Zusammenarbeit, um Probleme zu lösen. Ich denke, dass in solchen Gesellschaften, aber auch in Amerika und auch hier, es immer darum geht, wie kann ich der Mächtigste werden, aber natürlich gibt es auch Frauen, die so denken. Dennoch dürfte sich daraus die Furcht der Männer entwickeln.

Letzte Frage: Warum heißt die Kammeroper von Kamala Sankaram und Susan Yankowitz eigentlich „Thumbprint“, also „Daumenabdruck“?

Weil Mukhtar Mai keine Schulausbildung hatte und deshalb nicht lesen und schreiben konnte, wie viele Frauen damals und heute in der pakistanischen Gesellschaft. Deshalb können sie Papiere nur mit ihrem Daumenabdruck unterzeichnen. Und als Mukhtar Mai zur Polizei gegangen ist um ihre Vergewaltiger anzuzeigen, da wurde ihr erst einmal ein unbeschriebenes Blatt Papier vorgelegt, auf das sie ihren Fingerabdruck machen sollte. Das Protokoll dazu wollten die Beamten dann später einfügen. Das hat sie dann so wütend gemacht, das sie deshalb den Kindern heute als erstes lesen und schreiben beibringt, damit sie kontrollieren können, was da geschrieben wird.

Thumbprint | 20. (P), 21., 22.6., 4., 5., 6.7. | Opernhaus Wuppertal | 0202 563 76 66

Interview: Peter Ortmann

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