„Il dissoluto punito ossia Don Giovanni” (Der bestrafte Wüstling oder Don Giovanni) – Dramma giocoso in due atti (verspieltes Drama in zwei Akten) – lautet der korrekte Titel des Musiktheaters von Wolfgang Amadeus Mozart, das seit seiner Uraufführung anno 1787 ein Hit ist. Die Ansicht des Schriftstellers E.T.A. Hoffmann (1776-1822), der „Don Giovanni“ sei die „Oper aller Opern“, gilt nach wie vor. Diese hohe Auszeichnung zieht hohe Ansprüche hinsichtlich szenischer Brillanz nach sich. Auch sind Mozarts musikalische Anforderungen stets außerordentlich hoch. Diese Oper geht weit über die Gattung der „komischen Oper“ hinaus, steckt doch in ihr eine große Portion an glühendem Pathos und eine düstere Dramatik. Der Komponist und sein Librettist Lorenzo da Ponte haben ganz ausgefuchst ein exzellent durchdachtes Opus verfasst, das den Schwerpunkt auf die Ensembleszenen legt. Neu ist außerdem, dass sich die Hauptfiguren mit ihren Soloarien von Anfang an in Gruppenszenen entwickeln.
Wer ist Don Giovanni?
Immer wieder setzen sich Regisseure in ihren Inszenierungen mit der Charakterisierung des Don Giovanni auseinander, der Frauen in seinen Bann zieht. Ist er ein Macho, der seinen Trieb ohne Rücksicht auf Verluste befriedigt? Ist er ein Schürzenjäger, der soziale Normen außer Acht lassend der freien Liebe frönt? Ist er ein Weiberheld, der dem männlichen Geschlecht demonstriert, dass er der Größte und Beste ist? Ist es ihm egal, welche Konsequenzen sein Verhalten nach sich zieht? Jedenfalls hatte er laut seinem Sexbuchhalter, dem Diener Leporello, bisher mit 2065 Frauen einen One-Night-Stand, wie er es in der Registerarie verkündet.
Ewig im Raum
In die 1970er Jahre hat im Wuppertaler Opernhaus Regisseurin Claudia Isabel Martin die Handlung gelegt. Das ganze Geschehen findet in einer holzgetäfelten Vorhalle mit Türen links, rechts und an der Rückfront (Bühne: Polina Liefers) statt, wie es ihn in Gründerzeitvillen gibt. Im zweiten Akt erweitert sich die rechte Bühnenhälfte nach hinten, wo der ermordete Komtur mit seinen Mordgelüsten aus dem Jenseits in Erscheinung tritt. Es gibt also keinen Garten, keine Straße, keinen richtigen Ballsaal, keinen Kirchhofplatz, kein düsteres Gemach, wo die ganzen menschlichen Verstrickungen, Sehnsüchte, Triebe oder Rachegelüste ordentlich gemäß Musik und Libretto in Szene gesetzt spannungsvoll dargestellt werden. Von Beginn an kommt der Protagonist nicht aus diesen Raum hinaus, als sei er darin und somit in sich selbst ausweglos gefangen. Dort sind sämtliche zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen zu erleben. Auch der Maskenball und das große Festmahl finden dort statt. Es wird wenig gespielt. Dafür setzt man sich gestenreich verbal auseinander, wobei die dem Stück innewohnenden Frivolitäten nicht berücksichtigt werden. In abwechslungsreichen Outfits (Kostüme: Veronika Kaleja) kommen und gehen die Figuren und der Opernchor durch die Portale herein, in hochherrschaftlicher Kleidung bis hin zum Dress der Blumenkinder, bunter Festkleidung mit Anlehnungen an die Zeit des Rokoko, wie sie vor rund einem halben Jahrhundert Mode war.
Die Inszenierung bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, warum durchweg Ruben Reniers präsent ist, der mit seinem zeitgenössischen Ausdruckstanz Don Giovannis Verführungskünste darstellen soll, zumal sie von der eigentlichen Handlung ablenkt. Außerdem mutet es albern an, dass Leporello bei der Registerarie aus seinem Geigenkasten Textilien wie Dessous kramt.
Hart an die Grenze
Die vom Sinfonieorchester Wuppertal differenziert gespielte Musik ruft gemischte Gefühle hervor. Die schnellen Tempi und lauten Abschnitte forciert Wuppertals Generalmusikdirektor bis hart an die Grenze des gesanglich Machbaren. Die Arien und Rezitative werden in diesem Fall zwar ordentlich vorgetragen, doch wird den Sängern ein hohes Maß an Kondition abverlangt. Man merkt ihnen die großen Anstrengungen an. So mangelt es den Sprechgesängen streckenweise an einer gut artikulierten Aussprache. Und manche Arien müssen derart dynamisch gesteigert werden, dass die Töne gerade in den hohen Lagen zu gestoßen, spitz, scharf, schrill, die von Don Ottavio ein wenig zu blass aus den Mündern der Gesangssolisten kommen. Trotzdem ist hörbar, dass sie durchweg über sattelfeste, profunde Stimmen verfügen, deutlich wahrnehmbar gerade bei den leiseren, ruhigen Stellen. So bringen sie ihre Partien hochanständig über die Bühne: Zachary Wilson als Don Giovanni, Oliver Weidinger (Leporello), Margaux de Valensart (Donna Anna), Edith Grossman (Donna Elvira), Natalia Labourdette vom Opernstudio NRW (Zerlina), als Gast Agostino Subacchi (Masetto), Erik Rousi (Komtur) und Sangmin Jeon (Don Ottavio) wie der Opernchor der Wuppertaler Bühnen (Einstudierung Ulrich Zippelius).
Abgesehen von Bravo-Rufen seitens einer Hand voll Gäste in der letzten Reihe des Parketts fallen letztendlich die stehenden Ovationen nicht jubelnd aus. Als man das Regieteam zum zweiten Mal auf die Bühne bitten will, schließt sich der Vorhang. Der Schlussapplaus ebbt sofort ab. Zügig wird das Auditorium verlassen.
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