Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will. So dachte am 15. Dezember vergangenen Jahres wahrscheinlich mancher Fahrgast der Schwebebahn und schaute missmutig zu den Twintowers der Stadtwerke an der Bromberger Straße hoch. Bis Ostern noch ist der Betrieb des berühmtesten Nahverkehrsmittels eingestellt. Umfangreiche Sanierungsarbeiten an dem Gerüst der Fahrbahn würden diese Pause notwendig machen, teilte der Betreiber der Öffentlichkeit mit. Die so schnelle und überraschende Entscheidung sei notwendig geworden, weil beauftragte Gutachter zu dem Schluss gekommen waren, dass die Sicherheit der Fahrgäste nicht weiter zu gewährleisten sei. Die Notbremsung der WSW überraschte nicht nur die geplagten Fahrgäste, die auf Sonderbusse umsteigen mussten, sondern erregte bundesweit mediale Aufmerksamkeit. Wuppertal ohne Wahrzeichen, so oder ähnlich rauschte es durch den Blätterwald. Die heimische Lokalzeitung titelte sogar mit dem je nach Gusto verlockenden oder sexistischen Titel „Wuppertal oben ohne“. Es wurde versucht, Schuldige zu finden. Nachdem aber offenbar wurde, dass eine unglückliche Verkettung mehrerer Pleiten und Pannen zu der Schnellabschaltung geführt hatte, die Pause wirklich nur vorübergehender Natur ist und es den Verantwortlichen um die absolute Betriebssicherheit ging, legte sich die Aufregung. Auch hat der Mensch im Tal schon in der Vergangenheit lernen müssen, dass die Bahn nicht immer fährt. Schließlich liegt es in der Natur des Transportmittels, dass bei Störungen am Gleiskörper die Bahn keine Umleitung benutzen kann. Der eiserne Tausendfüßler, so wird die Konstruktion zuweilen umgangssprachlich genannt, ist schließlich keine Hydra. Auf der Internetseite der Stadtverwaltung zeigt eine Ampel am oberen rechten Bildrand, ob die Schwebebahn in Betrieb ist. Die Ampel ist seit Mitte Dezember rot.
Die Zwangspause kann nun aber nicht nur genutzt werden, um ein paar Stahlstreben auszutauschen. Jetzt wäre eine gute Gelegenheit, über die Bedeutung der Schwebebahn und ihre Perspektiven nachzudenken. Kein anderes Verkehrsmittel kann so schnell, effektiv und ökologisch den Öffentlichen Nahverkehr auf der Magistrale im Tal bedienen. Der Elektroantrieb, den manche Umweltpolitiker und Autobauer nach dem Klimagipfel in Kopenhagen für die ferne Zukunft in Erwägung ziehen, in Wuppertal ist er seit 110 Jahren Standard. Die Technik ist zudem extrem raumsparend. Dies ist wegen der Tallage der Stadt mit ihren engen Straßen eine wichtige Eigenschaft. Durch den kreuzungsfreien Betrieb ist es im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln bislang zu verhältnismäßig wenigen Unfällen gekommen. So ist die Frage berechtigt, warum nicht in mehr Städten Schwebebahnen fahren. U-Bahnschächte sind viel teurer als Hochbahnen. Und nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs mag die Akzeptanz in der Bevölkerung für Alternativen zum Tunnelbau zu Babel hierzulande wachsen. Schwebebahnen müssen ja nicht zwingend mit Magnettechnik als Größenwahnprojekte konzipiert werden. Das Rad ist ja bereits erfunden. Manchmal müssen Jahrzehnte ins Land gehen, bevor eine Technologie wiederentdeckt wird. Inzwischen werden Zeppeline als Minensuchgeräte eingesetzt.
Ohne Schwebebahn stünde die Stadt da wie Berlin ohne Brandenburger Tor, London ohne Big Ben oder Paris ohne Eifelturm
Die Schwebebahn ist wie der Zeppelin ein Produkt der vorletzten Jahrhundertwende. Jene Epoche mag irgendwann, wenn Archäologen sie katalogisieren, „Stahlzeit“ genannt werden. Die Schwebebahn imponiert wie der Eiffelturm durch ihre riesige und zugleich filigrane Konstruktion. Während der Eiffelturm eines der weltweit bekannten Wahrzeichen Europas geworden ist, fristet die Schwebebahn ein vergleichsweise stiefmütterliches Dasein. Für den Wuppertaler mag es zwar schon genug Rummel um seine Bahn geben. Sie gehört für ihn zur Stadt wie Häuser und Straßen. Fremde aber, die das erste Mal in ihrem Leben ins Tal kommen, sind erstaunt und beeindruckt. Es wäre gut für Wuppertal, wenn offensiver mit diesem Pfund geworben würde. Aber auch für die Bewohner der Stadt erfüllt das exotische Fortbewegungsmittel einen Zweck. Obwohl die Schwebebahn als eine Selbstverständlichkeit erscheint, ist sie doch identitätsstiftend. Ohne sie stünde die Stadt da wie Berlin ohne Brandenburger Tor, London ohne Big Ben oder eben Paris ohne Eiffelturm. So passte die Nachricht von der zeitweiligen Einstellung des Fahrbetriebs psychologisch auch gut zur verbreiteten Endzeitstimmung, hervorgerufen durch Bäder- und Theaterschließungspläne. Wenn an Ostern, zum christlichen Auferstehungsfest, die ersten Bahnen wieder fahren, wird zumindest diese Durststrecke überwunden sein.
Jetzt schon stellt sich die Frage, wie der Öffentliche Nahverkehr ausgebaut werden kann. Eine östliche Verlängerung der Trasse nach Heckinghausen wurde vor Jahrzehnten wegen zu geringer prognostizierter Fahrgastzahlen verworfen. Aber vielleicht muss ein solches Projekt in Zeiten von Energieknappheit und Klimawandel neu bewertet werden. Insgesamt ist der Stadt mit ihren chronisch verstopften Straßen ein attraktiver Öffentlicher Nahverkehr zu wünschen.
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