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„Der Weibsteufel“ am Theater am Engelsgarten
Foto: Uwe Schinkel

Auf dem Berg, da gibt‘s koa Sünd

25. Januar 2022

„Der Weibsteufel“ am Theater am Engelsgarten – Auftritt 02/22

Nun, eine gute Stube steht da nicht auf der Bühne im Wuppertaler-Engelsgartentheater. Dabei hatte Karl Schönherr das doch ausdrücklich in seine Regieanweisungen 1914 geschrieben, dazu noch: Der Mann. Sein Weib. Ein junger Grenzjäger. Okay. Die Personen sind geblieben, die bayrische Mundart auch, ansonsten ist nicht mehr viel übrig von Alpen um die Jahrhundertwende. Peter Wallgram hat nicht nur Regie geführt, sondern sich auch sein Comicland dazu gebaut. Gebirge aus Pappe, eine Wohnstube, die nur aus einem Fenster und einer Badewanne besteht, dazu die unvermeidliche verschlossene Kiste. Fertig. Ein Videoscreen im Hintergrund liefert gezeichnete Landschaften und laufende Bilder, selbst die passenden bemalten großartigen Kostüme von Miriam Grimm lassen kein Zeitfenster erkennen. So reduziert sich die die gefährliche Dreiecksgeschichte auf ihren Kern: Zwei schwanzgesteuerte Kerle und ein junges Weib, dass sich urplötzlich – und wenn man Schönherr mal ernst nimmt – ungewollt von diesen emanzipiert und überaus clever und brutal ihren Vorteil ergreift und am Ende den Gewinn, ein Haus am Marktplatz einstreicht. Dass der Gatte dabei drauf geht und der schnuckelige Jägersmann wohl im Gefängnis landet: It‘s only Rock ‘n‘ Roll, but I like it.

Aber erst einmal zurück auf die Bühne und zur köstlichen Choreografie der fünf Akte im papiernen Alpenland. Was folgt sind 90 Minuten pure Lust am Spiel und am Zuschauen: Darkness Falls Across The Land. Und aus der Dunkelheit steigen die Eheleute ins Geschehen, er ein körperlich müder Schmuggler, sie seine an Kinderlosigkeit leidende junge Gattin. Sie scheinen alle dem Marvel-Universum entsprungen, doch eigentlich gab es dort doch nur wenige Zehoberi (Gamora), dennoch scheinen sie in den Alpen … lassen wir das. Arm ist der müde Schmuggler (Alexander Peiler) sicher nicht, das Geld fliegt gar lustig umher in der kärglichen, unsichtbaren Hütte. Doch fürs Haus am Marktplatz reicht es nicht nichts ganz und dann hat ihn auch noch die Gendarmerie auf dem Kieker. Also bergauf, bergab zwischen den Papp-Alpen her und nach dem Ausweg suchen. Seine hübsche Frau (Madtha Dolle) soll den auf ihn angesetzten Jäger bezirzen, damit er die Sore aus der Hütte (welche Hütte?) schaffen kann. Wallgram hat drei überaus spielfreudige Protagonisten und erzählt das (eigentlich) naturalistische Drama so köstlich krachend bunt, das einem beim Bayrischen ganz zappelig wird.

Dann taucht der Jäger (Konstantin Rickert) auf, der auf eine Beförderung lauert und deshalb erst einmal den Grenz-Beamten gibt, die olle verschlossene Kiste aufbricht und damit eigentlich den Untergang der Männergilde im Dreieck auslöst: Denn er findet dort Kinderkleider und ahnt die Sehnsüchte des Weibes – und verfällt der Schönheit, die sich jetzt dank neuem Selbstwertgefühl aus ihrer Erniedrigung befreien kann. Wallgram lässt die Geschlechter zum alten Stones-Hit „I Wanna Be Your Man“ zusammenprallen, der live eingespielte Song wird zum Szenen-Breaker im bunten Scheinwerferlicht und final kommt noch Billie Eilish-Mukke vor dem finalen Showdown der Männerwelt mit Klapptaschenmesser. Fazit: Ein Zitat von Karl Schönherr (himself): „Die Mannbilder sind ja so dumm, man könnt damit Türen einrennen!“ Der Mann war seiner Zeit weit voraus.

Der Weibsteufel | Fr. 28.1., Fr. 4.3. jeweils 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten, Wuppertal | 0202 563 76 66

PETER ORTMANN

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