Von Thomas Köcks „Klimatrilogie“, über „Pippi Langstrumpf“ bis „Ulysses“ – das Schauspiel Wuppertal lädt in der neuen Saison zu sehr ernsten, ausgelassenen und anspruchsvollen Bühnenstoffen. Ein Gespräch über künstlerische Freiheit, betriebliche Zwänge und Inklusion am Theater.
engels: Herr Braus, das Schauspiel in Wuppertal startet mit der Klima-Trilogie des österreichischen Dramatikers Thomas Köck in die neue Spielzeit. Keine Angst, dass sich die Letzte Generation am Theater festklebt?
Thomas Braus: Wieso sollte ich Angst haben? Das Theater setzt sich mit vielen Sachen kritisch auseinander. Da wir die Klimakrise als Thema verhandeln, glaube ich, dass die Leute eher reinkommen.
Und ihr zeigt alle drei Teile zusammen?
Ja, wir haben unsdie Stücke lange angekuckt, ich bin ein großer Fan von Thomas Köck. Es war gleich klar, dass wir modern eröffnen, dass wir auch kritisch eröffnen. Wir haben uns auf dieses Stück geeinigt, weil es auch andere Ebenen erzählt. Der Mensch zerstört die Natur und der Mensch zerstört sich selbst. Auch was Menschen Menschen antun können verknüpft sich da über mehrere Epochen. Eigentlich wollen wir diese Trilogie komplett machen und in der Kommunikation mit dem Verlag, der da sehr offen ist, hat Thomas Köck diese drei Stücke als Material zur Verfügung gestellt. Wir haben Erzählstränge rausgenommen und eine sehr kompakte Fassung dieser drei Teile gemacht.
Ist Thomas Köcks Vision eigentlich so erschreckend, dass bis Weihnachten dann nur noch leichte Kost Premiere hat?
Die leichte Kost hat auch etwas damit zu tun, dass wir „Pippi Langstrumpf“ so früh rausbringen. Letztlich richtet sich der Spielplan nach den Notwendigkeiten. Dadurch, dass wir die Opernbühne erst spät zur Verfügung haben, müssen wir das Familienstück im Theater am Engelsgarten rausbringen. Das müssen wir sehr viel früher machen, ansonsten hätten wir eine Produktion wie „norway. today“ davor rausgebracht. Das ist tatsächlich so eine betriebliche Notwendigkeit, dass die kritischeren Stücke etwas später kommen. Natürlich ist auch leichte Kost wie „Arsen und Spitzenhäubchen“ so früh, weil wir das an Silvester spielen und wissen, dass das Publikum an Silvester eher nach einer Komödie ist, und das werden wir dieses Jahr auch bedienen.
„Wir sind das einzige Theater, das ein inklusives Schauspielstudio hat“
Das Angebot in Wuppertal ist in der kommenden Spielzeit besonders vielseitig. Das inklusive Schauspielstudio allerdings einzigartig, oder?
Ja, da haben wir ein Alleinstellungsmerkmal in Deutschland. Wir sind das einzige Theater, das ein inklusives Schauspielstudio hat. Bei uns kann man inzwischen, auch weil wir das schon mehrere Jahre haben, von einem inklusiven Ensemble sprechen, also mit einem sehr großen Anteil an Menschen mit Behinderung. Inzwischen erregen wir damit auch Aufmerksamkeit, müssen aber immer an der Finanzierung arbeiten.
In welchen Stücken sind diese Spieler:innen in der neuen Saison beteiligt?
Wir haben noch nicht alles durchbesetzt. Erstmal ist es auf jeden Fall „Pippi Langstrumpf“ und dann in der zweiten Hälfte vielleicht „Ulysses“ nach James Joyce, aber das wissen wir noch nicht. Ich stelle allen unseren Regisseurinnen und Regisseuren unser inklusives Studio zur Verfügung.
Jede Spielzeit hat ein Angebot, an dem das Herz hängt. Was wird das nächste Saison sein?
Für mich hängt das Herz immer an allem. Das ist mir sehr wichtig. Aber wenn ich jetzt ganz ehrlich bin, dann gibt es doch einen Punkt an dem mein Herz hängt, weil es sehr viel Risiko und sehr viel Experiment ist und ich finde zu Theater gehört immer Wagnis und gehört Experiment, und das ist „Ulysses“ von James Joyce. Das ist ein großes Wagnis, weil, was wir fahren, das wurde noch nie gemacht. Es ist eine Arbeit von Nicolas Charaux, der inszeniert den Roman, den jeder kennt und keiner gelesen hat. Wir sind da gerade in intensiven Gesprächen, wie wir das machen. Und es ist auch ein Risiko, das auf die Große Bühne im Opernhaus zu bringen. Aber das ist für mich ein zentrales, wichtiges Element in der nächsten Spielzeit. Und Ronald Riebeling war gerade da wegen „Arsen und Spitzenhäubchen“, und das ist eine ganz andere Form von Challenge, weil wir da diese Klamotte mit dem nackten Wahnsinn vermischen. Das wird eine kollektive Challenge, weil es ein Ensemblestück ist, bei dem immer alle auf der Bühne sind, aber es wird sicher auch viel Spaß machen. Dann habe ich mit Anne Mulleners eine Regisseurin aus den Niederlanden, die ein niederländisches Stück von Lot Vekemans („Vals“) macht, was ich auch toll finde.
„Ich mag keine Routinen“
Ist eine Spielzeit von einem Intendanten, der auch Schauspieler ist, oder umgekehrt, einem Schauspieler, der auch Intendant ist, eine besondere?
Als ich vor sechs Jahren mit der Intendanz angefangen habe, war das für mich schon etwas Besonderes. Da gehören ja viele neue Gedankenprozesse dazu und ich hatte als Schauspieler sehr viele Ideen. Ich habe, bevor ich ins feste Engagement ging, viel in der Freien Szene gemacht und eigene Projekte entwickelt. Es ist toll, wenn man als Bühnenschaffender gleichzeitig den Spielplan machen kann und gleichzeitig ein künstlerisches Konzept entwickeln kann. Ich mache nicht nur die Stücke, die ich schön finde, das fände ich langweilig, sondern ich arbeite an einem Konzept, wo ich in den nächsten fünf Jahren hinwill und wie wir uns weiterentwickeln wollen. Ich mag keine Routinen, ich mag keine ständige Wiederholung, natürlich gibt es betriebliche Notwendigkeiten.
Wie lange können Sie denn noch für Dantes Hölle in den Eingeweiden der Wuppertaler Oper herumklettern?
So lange es geht. Ich habe vor kurzem die 70. Vorstellung gehabt. Betreut wird das immer noch von Tim Wittkop, dem Regieassistent, der das damals mit Hans Kresnik gemacht hat und der mittlerweile am Staatstheater Kassel ist. Er wird das auch weiter tun, wir beide sind eben die letzten Originalbesetzungen von Hans Kresnik. Also ich fühl mich fit.
Saisonstart: Klimatrilogie | 2.9. (P) 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten, Wuppertal | Infos: 0202 563 76 66
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