Vor allem ein Bild brachte Beat Wismer, den Direktor des Museum Kunstpalast im Düsseldorfer Ehrenhof, auf die Idee dieser Ausstellung – aber was für ein Bild! Tizians „Bildnis des Filippo Archinto“ (1558) ist einzigartig, und das liegt an einem transparenten Schleier, der das Bild mittig teilt: Unentschieden, ob er auf- oder zuzuziehen ist. Dass der Saum mitten durch das Auge verläuft, kann weiterhin kein Zufall sein. Und schließlich scheint die Hand, die das Gebetbuch hält, mit den Fingern den Vorhang zu durchdringen… Thema hinter all dem ist der politische Zwist um Archintos Ernennung zum Kardinal. Das entscheidende Instrument der diskreten Analyse aber ist der Vorhang mit seiner malerischen Virtuosität hin zum ästhetisch sinnlichen Reiz. Als textile, teils deckende, teils durchsichtige Schicht, teils noch in Faltenwürfen findet er sich immer wieder in der Kunstgeschichte durch die Jahrhunderte: als Kleidungsstück oder demonstratives Tuch oder Verdeckung der Bühne oder Gardine am Fenster oder visueller Selbstzweck. Verbergend oder erst noch betonend, Neugierde stiftend oder den Blick bremsend, lassen sich verschiedene Typen und Funktionen differenzieren. Das unternimmt nun die breit angelegte Ausstellung im Museum Kunstpalast.
Ein inhaltlicher Ausgangspunkt ist der antike Künstler-Wettstreit zwischen Zeuxis und Parrhasios, bei dem ein täuschend echt gemalter Vorhang den Konkurrenten verlockte, ihn beiseite zu schieben: Das möchte man auch so manches Mal in der Ausstellung. Sie beginnt im Spätmittelalter und endet in der Gegenwart, die jüngste Künstlerin wurde 1984 geboren. Zwar sind die Exponate in chronologischer Ausrichtung auf zwei gegenüberliegende Säle verteilt, aber zwischen den alten Meistern findet sich auch Kunst des 20. Jahrhunderts: ein kluger Schachzug, der zum intensiven Schauen animiert. Köstlich und tiefsinnig schon Hans-Peter Feldmanns beleuchteter roter Vorhang, hinter dem nichts ist. Eine Bereicherung sind die Skulpturen aus verschiedenen Epochen, bei denen die Falten als materielle Substanz erstarrt sind, aber doch in Bewegung scheinen. Eine ganz andere Dimension halten die Objekte von Christo bereit. Seine Verhüllungen mit Hilfe von Verschnürungen sind freilich äußerst fern vom Vorhang oder vom Schleier in der Kunstgeschichte. Überhaupt, je weiter die Ausstellung in die Gegenwart schreitet, desto mehr neigt sie zum motivischen „Ausfransen“. Unter den zeitgenössischen Künstlern befinden sich etliche Düsseldorfer und Schweizer, aus der Heimat von Beat Wismer, der die Schau mit der Kunstgeschichts-Professorin Claudia Blümle konzipiert hat. Bei aller unvermeidlicher Subjektivität: Mit ihrer Ansammlung von Meisterwerken von Riemenschneider und Tizian über El Greco bis hin zu Gerhard Richter und Neo Rauch ist sie unbedingt sehenswert.
„Hinter dem Vorhang“ | bis 22.1. | Museum Kunstpalast Düsseldorf | 0211 56 64 21 00
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