Gesetze gelten. Was auch sonst? Als ewig betrachten wir aber die wenigsten. Vielleicht dürfen wir uns glücklich schätzen, dass manches Gesetz strittig bleibt, gerade dann, wenn es schwierigste Fragen berührt – wie den Konflikt zwischen Selbstbestimmung und Lebensrecht. Der Streit um den Paragrafen 219a StGB dreht sich hierum. Der Paragraf untersagt, öffentlich über Abtreibungen zu informieren, wenn es für den eigenen Vermögensvorteil oder grob anstößig geschieht. Aus ersterem folgt, dass ÄrztInnen nicht öffentlich darüber informieren dürfen, dass sie selbst Abtreibungen vornehmen. Der Widerstand dagegen erfährt seit dem Herbst 2017 mit dem Fall der Gießener Ärztin Kristina Hänel große Aufmerksamkeit. Wie manche ihrer KollegInnen wurde sie zu einer Geldstrafe verurteilt; ihr Leistungskatalog nennt Abtreibungen und bietet an, die E-Mailadresse zu hinterlassen, um hierzu weitere Informationen zu erhalten.
Nun ist ein Kompromissvorschlag gefunden, der bei Erscheinen dieses Hefts schon vom Bundestag verabschiedet worden sein könnte. Danach dürfen ÄrztInnen öffentlich darauf hinweisen, dass sie Abtreibungen vornehmen, weitergehende Informationen bleiben hingegen nach wie vor autorisierten Einrichtungen wie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung vorbehalten. Für GegnerInnen des Paragrafen ist das ein fadenscheiniger Kompromiss, der weder der Informationsfreiheit der Schwangeren genüge noch der Rechtssicherheit der ÄrztInnen. VerteidigerInnen betonen hingegen, dass die Gesetzgebung Abtreibungen eben einen gewissen Widerstand zu leisten habe, damit die Gesellschaft sensibel dafür bleibe, dass es grundsätzlich ethisch fragwürdig ist, einem werdenden menschlichen Leben ein Ende zu setzen.
Vom währenden Streit abgesehen, können wir uns vielleicht darauf einigen, dass unsere Gesellschaft ein gutes Stück vorangekommen ist: Eine zur Abtreibung entschlossene Frau muss sich längst nicht mehr EngelmacherInnen anvertrauen, die verschwiegen und gesundheitlich höchst riskant der Schwangerschaft ein Ende setzen. Stattdessen ist die Fristenregelung selbstverständlich: Innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen bleibt ein ärztlich durchgeführter Abbruch straffrei, wenn die Schwangere zuvor eine Konfliktberatung aufgesucht hat. Ist die Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung, bedarf es lediglich einer ärztlichen Feststellung. Auch nach der zwölften Woche ist ein Abbruch möglich, wenn ein schweres gesundheitliches Risiko für die Schwangere oder das Kind zu erwarten ist.
In unserem Monatsthema LUST AUF ABTREIBUNG? fragen wir uns, was zu bedenken ist beim Konflikt zwischen der Selbstbestimmung der schwangeren Frau und dem Lebensrecht des Ungeborenen, welche Reaktionen betroffene Frauen und ÄrztInnen erfahren und was der Konflikt über unser Frauenbild verrät.
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