Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
22 23 24 25 26 27 28
29 30 1 2 3 4 5

12.558 Beiträge zu
3.787 Filmen im Forum

Wenn das Posen vorbei ist, beginnt das Drama
Foto: Uwe Schinkel

Ewiger Krieg gegen den Fahrtwind

25. Oktober 2018

„Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ im Theater am Engelsgarten – Auftritt 11/18

Wer drei Hähne in einen Käfig sperrt, muss sich nicht wundern wenn nach kurzer Zeit nur noch einer übrig bleibt, und der ist meistens noch lebensgefährlich verletzt. Bei Schauspielern ist das ähnlich, wenn auch nicht ganz so physisch. In „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ von Theresia Walser prallen die Mimen dann in einer Arena aufeinander. Den Bühnen-Renner von 2006 hat die junge Kristin Trositz in Wuppertal mit dem Nachfolgestück „Nach der Ruhe vor dem Sturm“ (2018) gestreckt, was in dem drehbaren rot weißen Kampfarena-Bühnenrundell von Nina Sievers auch wunderbar funktioniert.

Drei Schauspieler warten dort auf ihren großen Auftritt bei einer Podiumsdiskussion. Alle drei spielten einst Nazigrößen. Da sitzt der berühmte Franz Prächtel umgarnt vom bekannten Peter Soest. Beide haben einst Hitler gespielt, nur der junge Ulli Lerch durfte „nur“ Goebbels, aber das wenigstens in einer zeitgenössischen Inszenierung. Das Drama der Selbstbestätigung liegt in also bleiern in der Luft, alle gehen in Stellung, ihnen reicht ein Publikum aus Luftballons allemal für den großen Showdown.

Kristin Trosits
Foto: Guido Sprenger
Die Regisseurin
Kristin Trosits (*1985) studierte in Köln und Lissabon  Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, Musikwissenschaft und Portugiesische Philologie, es folgten Hospitanzen. Sie arbeitet als Regisseurin u.a. am Schauspiel Kiel und am THEAS Theater Bergisch Gladbach.

Der Anfang gehört dem Posen, der eine macht Sprachübungen, der andere kräht nach einem Glas Hahnwasser. Gemeinsam loten sie aus, welche Fragen ihnen wohl unangenehm werden können und welche den einzelnen am besten in Szene setzen. Zentrale Figur bleibt Prächtel (Mirko Greza) unbestrittener Held, der jedes Umfeld zur Entourage degradiert und dennoch als ehemaliger Hitler-Darsteller enorm angreifbar ist, hat er dem Psychopathen doch Züge verliehen, die unangemessen scheinen. Der wibbelige Ulli Lerch (Martin Petschan) jedenfalls stellt dauernd unangenehme Fragen. Trositz inszeniert das als dialogischen Reigen um die Luftballons, ihre Protagonisten steigen die Stufen rauf und wieder runter, oft verzetteln sie sich köstlich in ihren wirren Gedankenspielen, die nur ihrem Ego dienen. Mittendrin netzwerkt der schleimige Peter Soest (Stefan Walz), der Prächtel nicht gewachsen ist, ihn deshalb notgedrungen bewundert und gern sein Protegé wäre. Doch Prächtel hat den Theaterbetrieb längst überwunden, pfeift auf Regisseure und Publikum und hat dabei den Zenit seines Schaffens längst überschritten. Walser, selbst Schauspielerin, schrieb eine stille Persiflage über die menschlichen Abgründe vor und hinter den Vorhängen dieser Welt, die sich auch auf das Publikum anwenden ließe, wo die deutschen Reichsfarben ja auch wieder schändliche Kraft entwickeln. Anders als in der Dortmunder Walser-Inszenierung von Thorsten Bihegue haben die Kostüme im Theater am Engelsgarten eigentlich nur eine optische Nebenrolle, die im zweiten Teil des Abends auch zusätzlich noch abgelegt werden.

Jetzt geht es nicht mehr um die Vorherrschaft auf den Brettern, die die Welt bedeuten, jetzt geht es um Präsenz auf den Planken der TV-Traumschiffe, die weniger Können, aber mehr angeschminkte Schönheit erfordern. Der Serienheld verkümmert in seiner Rolle, wird unbrauchbar in der realen Welt und denkt doch immerzu, er sei der Nabel des Universums. Auch hier bekämpfen sich die männlichen und weiblichen Gockel einer uralten Branche bis aufs Blut, das Theatralische gerät zur Groteske, bei der die letzte Aufgabe ein großer Abgang ist.

„Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm/Nach der Ruhe vor dem Sturm“ | R: Kristin Trosits | Sa 3.11., Sa 22.12. 19.30 Uhr, Sa 4.11. 18 Uhr | Theater am Engelsgarten | www.schauspiel-wuppertal.de

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Challengers – Rivalen

Lesen Sie dazu auch:

Teuflischer Plan
Senecas „Phaedra“ am Theater am Engelsgarten – Prolog 04/24

Antikes Drama trifft auf Tanz
„Phaedra“ im Theater am Engelsgarten

„Das Klügste ist, dass man die Polizei gar nicht sieht“
Anne Mulleners inszeniert „Falsch“ am Wuppertaler Theater am Engelsgarten – Premiere 03/24

„Wir haben uns absolut gegen den großen Stein entschieden“
Regisseurin Hannah Frauenrath über „norway.today“ am Theater am Engelsgarten – Premiere 12/23

„Giftmord als Kammerspiel ist immer willkommen“
Regisseur Roland Riebeling über „Arsen und Spitzenhäubchen“ am Schauspiel Wuppertal – Premiere 11/23

„Es geht darum, was es heißt, politisch aktiv zu werden“
Jenke Nordalm inszeniert Thomas Köcks „Klimatrilogie“ im Theater am Engelsgarten – Premiere 09/23

„Zu Theater gehört Wagnis und Experiment“
Intendant Thomas Braus über die neue Saison am Schauspiel Wuppertal – Premiere 08/23

„Wir wollen eine Art Geisterbahn bauen“
Anne Frick über „Dream on – Stadt der Träume“ in Wuppertal – Premiere 05/23

„Thomas Mann tut es gut gekürzt zu werden“
Henri Hüster spricht über seine Inszenierung des Zauberbergs – Premiere 04/23

„Jede starke Komödie ist tragisch“
Maja Delinić über „Der Revisor“ am Schauspiel Wuppertal – Premiere 03/23

Sie haben ein knallgelbes Gummiboot
„Vogelfrei“ am Theater am Engelsgarten – Auftritt 01/23

Das bleibt, wenn die Masken fallen
„Die Wahrheiten“ am Theater am Engelsgarten – Auftritt 11/22

Bühne.

Hier erscheint die Aufforderung!