Wer drei Hähne in einen Käfig sperrt, muss sich nicht wundern wenn nach kurzer Zeit nur noch einer übrig bleibt, und der ist meistens noch lebensgefährlich verletzt. Bei Schauspielern ist das ähnlich, wenn auch nicht ganz so physisch. In „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ von Theresia Walser prallen die Mimen dann in einer Arena aufeinander. Den Bühnen-Renner von 2006 hat die junge Kristin Trositz in Wuppertal mit dem Nachfolgestück „Nach der Ruhe vor dem Sturm“ (2018) gestreckt, was in dem drehbaren rot weißen Kampfarena-Bühnenrundell von Nina Sievers auch wunderbar funktioniert.
Drei Schauspieler warten dort auf ihren großen Auftritt bei einer Podiumsdiskussion. Alle drei spielten einst Nazigrößen. Da sitzt der berühmte Franz Prächtel umgarnt vom bekannten Peter Soest. Beide haben einst Hitler gespielt, nur der junge Ulli Lerch durfte „nur“ Goebbels, aber das wenigstens in einer zeitgenössischen Inszenierung. Das Drama der Selbstbestätigung liegt in also bleiern in der Luft, alle gehen in Stellung, ihnen reicht ein Publikum aus Luftballons allemal für den großen Showdown.
Der Anfang gehört dem Posen, der eine macht Sprachübungen, der andere kräht nach einem Glas Hahnwasser. Gemeinsam loten sie aus, welche Fragen ihnen wohl unangenehm werden können und welche den einzelnen am besten in Szene setzen. Zentrale Figur bleibt Prächtel (Mirko Greza) unbestrittener Held, der jedes Umfeld zur Entourage degradiert und dennoch als ehemaliger Hitler-Darsteller enorm angreifbar ist, hat er dem Psychopathen doch Züge verliehen, die unangemessen scheinen. Der wibbelige Ulli Lerch (Martin Petschan) jedenfalls stellt dauernd unangenehme Fragen. Trositz inszeniert das als dialogischen Reigen um die Luftballons, ihre Protagonisten steigen die Stufen rauf und wieder runter, oft verzetteln sie sich köstlich in ihren wirren Gedankenspielen, die nur ihrem Ego dienen. Mittendrin netzwerkt der schleimige Peter Soest (Stefan Walz), der Prächtel nicht gewachsen ist, ihn deshalb notgedrungen bewundert und gern sein Protegé wäre. Doch Prächtel hat den Theaterbetrieb längst überwunden, pfeift auf Regisseure und Publikum und hat dabei den Zenit seines Schaffens längst überschritten. Walser, selbst Schauspielerin, schrieb eine stille Persiflage über die menschlichen Abgründe vor und hinter den Vorhängen dieser Welt, die sich auch auf das Publikum anwenden ließe, wo die deutschen Reichsfarben ja auch wieder schändliche Kraft entwickeln. Anders als in der Dortmunder Walser-Inszenierung von Thorsten Bihegue haben die Kostüme im Theater am Engelsgarten eigentlich nur eine optische Nebenrolle, die im zweiten Teil des Abends auch zusätzlich noch abgelegt werden.
Jetzt geht es nicht mehr um die Vorherrschaft auf den Brettern, die die Welt bedeuten, jetzt geht es um Präsenz auf den Planken der TV-Traumschiffe, die weniger Können, aber mehr angeschminkte Schönheit erfordern. Der Serienheld verkümmert in seiner Rolle, wird unbrauchbar in der realen Welt und denkt doch immerzu, er sei der Nabel des Universums. Auch hier bekämpfen sich die männlichen und weiblichen Gockel einer uralten Branche bis aufs Blut, das Theatralische gerät zur Groteske, bei der die letzte Aufgabe ein großer Abgang ist.
„Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm/Nach der Ruhe vor dem Sturm“ | R: Kristin Trosits | Sa 3.11., Sa 22.12. 19.30 Uhr, Sa 4.11. 18 Uhr | Theater am Engelsgarten | www.schauspiel-wuppertal.de
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