engels: Herr Braus, in ihrem Prolog zur neuen Spielzeit schreiben sie über eine stumme Person vor dem Vorhang, die den Theaterbetrieb beschwört – ist das nötig in Wuppertal?
Thomas Braus: Eine Person steht im leeren Raum. Sie muss nichts spielen, das erzählt dem Publikum schon eine Geschichte. Ein Sinnbild für das pure Theater. Da stellt sich die Frage, was uns daran fesselt und in Bann zieht.
Die erste Premiere ist eine feministische Märchenstunde?
„Es war einmal …“ ist eine Uraufführung von Hannah Frauenrath. Der Leitfaden bei der Zusammensetzung des Spielplans – ich will es nicht Motto nennen –, war die Frage nach Macht und Machtspielen. Bei unserer ersten Produktion geht es darum, was Sprache für eine Macht hat und was sie unbewusst auslösen kann. Wir haben uns mit den Frauenbildern in den Märchen befasst und sehen da, wie Sprache ein Gesellschaftsbild vermitteln kann. Da gibt es etwa die hübsche Prinzessin, die einen Mann haben will oder einen Mann kriegt, den sie nicht will, und die stereotypische böse Stiefmutter. Elfriede Jelineks Prinzessinnendramen dienten da sicherlich auch zur Inspiration. Wir haben uns für einen modernen Weg entschieden und mit der jungen Regisseurin ein Konzept entwickelt, über die Frage, wie ein Gesellschaftsbild über Sprache und Geschichten unbewusst geprägt werden kann. Und das gilt ganz besonders für Märchen, die an Kinder gerichtet sind.
Besser geht es den Frauen bei der zweiten Premiere, Schillers „Kabale und Liebe“, auch nicht?
Genau. Das wiederholt sich bei diesem Klassiker auf einer anderen Ebene und auf unterschiedliche Weise: Welches Frauenbild wird in „Kabale und Liebe“ vermittelt und welche Rolle spielen dabei Generationenkonflikte und Ständeunterschiede.
Auch in der weiteren Spielzeit bestimmen Frauenrollen die Bühne.
Ja, das zieht sich durch. „Prima Facie“ vermittelt eine zeitgenössische Sicht der australischen Autorin Suzie Miller und da geht es auch um das Hinterfragen unseres Rechtssystems. Der Monolog beschreibt eine Rechtsanwältin, die die patriarchalen Strukturen unseres Rechtssystems realisiert. In „Fräulein Julie“ von Strindberg haben wir die gesellschaftlich höherstehende Frau, die sich trotzdem immer wieder ihrem Diener unterwirft. Ein Rollenkonflikt und eine ähnliche Konstellation wie bei Kabale und Liebe. Bei der „Kahlen Sängerin“ von Ionesco ist das etwas anders, da geht es uns eher um Kommunikation, Kommunikationslosigkeit und wie sie in die Irre führen kann. Aber auch, wie schwierig sie ist und irgendwann sogar in einer vollkommen sinnlosen Kakophonie enden kann, in der sich niemand mehr versteht. Bestes Beispiel ist das Ehepaar, das sich am Tisch gegenüber sitzt und erst am Ende der Dialoge feststellt, dass man eigentlich miteinander verheiratet ist.
Bleibt nur noch „Mephisto“ nach dem Roman von Klaus Mann, natürlich im Opernhaus. Wie ökonomisch notwendig ist das Bespielen der Oper?
Als ich die Intendanz übernommen habe, war für mich wichtig zu erklären, dass Schauspiel in Wuppertal nicht nur auf der kleinen Bühne stattfindet, sondern auch auf einer großen. Das Schauspiel Wuppertal ist nicht nur das Theater am Engelsgarten. Ich bin lange genug in Wuppertal, um zu wissen, dass Schauspiel hier auf der großen Bühne funktioniert, damals gab es ja noch das alte Schauspielhaus. Für mich war es nach dem Umzug ins Opernhaus wegen des Umbaus eine Bedingung für die Intendanz, dass die Tradition, große Produktionen auf die Bühne zu bringen, fortgesetzt wird. Das war eine rein künstlerische Entscheidung. Ich spreche ja auch immer vom großen und vom kleinen Haus.
… und der Mephisto gehört natürlich da rein.
Natürlich, da geht es ja darum, wie beeinflussbar auch ein Künstler sein kann und wie ich selbst mein Tun immer wieder reflektieren muss. Einflussnahme von außen ist ja gerade auch gesellschaftlich ein Thema. Wie, wer und was beeinflusst die Menschen – und das gehört natürlich ins große Haus.
Wir haben momentan schwierige Zeiten für Kultur insgesamt. Wie geht es dem Alleinstellungsmerkmal in der Region, dem Inklusiven Studio?
Das bleibt erhalten. Wir sind durchaus Vorreiter bei der Inklusion, weil wir eben das Inklusive Studio haben und auch immer wieder inklusiv besetzen. Momentan bereiten wir die nächsten Mitglieder auf den Abschluss vor und können dann im Frühjahr vielleicht wieder neue Mitglieder aufnehmen. Dabei merken wir aber auch, wie viel noch in der Theaterlandschaft zu tun ist. Es reicht ja nicht aus, Menschen auszubilden, der Theatermarkt muss ja auch darauf vorbereitet sein. Da ist zwar viel im Gange, aber eben nicht genug. Das Thema Inklusion im Theater und in der Kunst wird sich am Schauspiel Wuppertal durchziehen, solange ich Intendant bin.
Spielzeit 2024/25 | Erste Premiere: Es war einmal … | Sa 14.9., 19.30 Uhr | Theater am Engelsgarten, Wuppertal | 0202 563 76 66
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