„Setz dich doch!“ 1963 lädt Fluxus-Künstler George Brecht ein, auf drei unterschiedlichen Stühlen Platz zu nehmen und nachzuspüren, wie sich das anfühlt. Ein gelber, weißer und schwarzer Stuhl stehen auch in der neuen Sammlungspräsentation im Museum Ostwall zum Testsitzen bereit. Alison Knowles fordert Ausstellungsbesucher auf, ihre Lieblingsschuhe zu beschreiben, Allan Kaprow bindet sich einen Schuh ans Bein und führt ihn an der Leine spazieren. Gemeinsam singen, Salat bereiten, Stadträume betrachten, Spiele erfinden – mit solchen Aktionen verließen Künstler der 1960er/70er Jahre die hehren Kunsthallen und mischten sich unters Volk, um Kunst und Alltag enger zusammenzuführen. Das MO im U – mit Fluxus-Schwerpunkt – dreht den Spieß nun um und will mehr Leben ins Haus locken, auch überzeugte Museumsmuffel. So schmiedet man kreative Pläne, wie das gelingen kann. Ein Baustein ist die neue Sammlungsschau „Kunst Leben Kunst“ mit Teilhabeimpulsen, Mitmachaktionen im „Flux Inn“ und Blicken hinter die Kulissen des Museumsalltags.
Die Rolle eines zeitgemäßen Museums steht im Fokus, beleuchtet mit rund 280 hauseigenen Werken in drei Kapiteln. Doch „nur“ Kunstwerke sammeln, bewahren und ausstellen, das ist heute oldschool. Besucherbedürfnisse haben sich geändert und auch die Kunst ist dem Zeitgeist und Moden unterworfen. Daher sehen aktuelle Sammlungspräsentationen anders aus als vor fast 75 Jahren, als die engagierte Museumsfrau Leonie Reygers nach dem Zweiten Weltkrieg das zerbombte Haus am Ostwall als Museum für Gegenwartskunst aufbaute, etablierte und bis 1966 leitete.
Die Ausstellung startet mit einer Zeitreise in die 1950er Jahre, als Direktorin Reygers das Museum als eine Art städtisches Wohnzimmer einrichtete, um mit Kunst und gutem Design Bildungsarbeit zu leisten. Thonet-Stühle stehen neben Timm Ullrichs müde hingekauertem Stuhlobjekt (1970) und George Brechts „3 Chairs Event“. Umrahmt von S-W-Fotowänden mit Ansichten des ehemaligen Interieur kann man zwischen Topfblumen, Nierentischen und Picasso-Grafik in historischen Kunstkatalogen blättern. Fluxus-Editionen propagieren „Kunst für alle“, was spätere Museumsleiter ausbauten, während Reygers zunächst bemüht war, die als entartet verfemten Expressionisten zu rehabilitieren – Highlights aus dem Bestand sind in Petersburger Hängung präsentiert. Sie zeigte modernstes Informel, aber auch ihr Faible für „naive“ Amateurkunst.
Wer sammelte wann was warum? Dieser Frage wird im 2. Ausstellungskapitel nachgegangen. Auch wenn Reygers Objekte z. B. der Inuit vorstellte, für sammlungswürdig hielt sie sie nicht. Heute, mit globalem Blick, wertschätzt man Kunstproduktion aus aller Welt und setzt auf Diversität und People of Color – auch dieser Wandel wird thematisiert. „Exkursräume“ zeigen beispielhaft, wie Leihverkehr funktioniert und vor welchen Herausforderungen die Restaurator:innen stehen.
Ein letzter Bereich widmet sich der musealen Vermittlungsarbeit, dem wichtigsten Zukunftsprojekt: unterschiedlichen Zielgruppen Kunst-Basics lehren, Wahrnehmung schärfen, anregen zum Mitbestimmen, Mit- und Selbermachen, um das Museum zu einem lebendigen Kunst-Ort umzugestalten.
Kunst Leben Kunst. Das Museum Ostwall gestern, heute, morgen | bis 29.12.2024 | MO im Dortmunder U | 0231 502 60 87
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