T.Y. soll hier anonym bleiben. Sein Fall zeigt beispielhaft, wie schnell Kinder durch die Lücken des Lehrbetriebs fallen können: Er machte auf der Grundschule ein einziges Mal seine Hausaufgaben – am Tag seiner Einschulung. Danach hatte er schnell seinen Stempel weg: verhaltensauffällig, unbelehrbar, kaum schultauglich. Sein Weg führte bald auf die Sonderschule.
Das Erstaunliche: T.Y. hat inzwischen Abitur gemacht und er beschließt sein Studium mit einem hervorragenden Bachelor- und Masterabschluss. Heute erinnert er sich daran, wer dafür sorgte, dass er nicht als Restschüler behandelt wurde: Seine Sonderschullehrerin Lieselotte Winnacker-Spitzl. „Ich kann bar aller Übertreibung behaupten, dass ich ohne ihre Hilfe und Unterstützung nie zu dem geworden wäre, der ich heute bin. Ebenso wenig dramatisiere ich die Vergangenheit, wenn ich sage, dass sie inmitten des chaotischen Tollhauses die einzige war, die uns Menschlichkeit beibrachte“, sagt der ehemalige Sonderschüler.
T.Y. mag eine Ausnahme sein. Doch zeigt sein Fall, warum es sich lohnt, gerade Kinder, die im Schulsystem als schwierig gelten, eines aufmerksameren Blicks zu würdigen. Lieselotte Winnacker-Spitzl bleibt dieser Mission auch lange nach ihrer Pensionierung treu. Bis heute gibt sie verhaltensauffälligen Kindern auf der Grundlage von Wertschätzung einen Raum, um Entwicklung der Persönlichkeit und das Selbstwertgefühl jedes einzelnen zu fördern.
„Handeln statt Beklagen“ heißt ein Motto des bunten Hauses am Wupperufer. Seit 1995 ist das Kinderhaus, einst großzügig gesponsert von Lieselotte Winnacker-Spitzls Bruder Ernst-Otto, eine Wuppertaler Institution, die auch über die Stadtgrenzen hinaus viel Anerkennung erfährt, vom WDR Kinderrechtepreis bis zum Verdienstorden des Landes NRW. Die Liste der Auszeichnungen ist lang.
Es ist die Mischung aus Behutsamkeit und Konsequenz, mit der Kinder hier gefördert werden, die die Besucher beeindruckt. „Diese Kinder haben keine Lobbby“, sagt Winnacker und schafft, gemeinsam mit ihren Mitarbeitern, immer wieder Angebote, bei denen Kinder zeigen können, was in ihnen steckt. Es gibt Naturprogramme, ein Pferdeprojekt, Kochen, Sport und Mithilfe in Haus und Gelände und vieles mehr. Ein wichtiger Punkt ist die Einbeziehung von Lehramtsstudenten, so haben auch angehende Lehrer die Möglichkeit, ihre pädagogischen Fähigkeiten in einem „Teacher Training“ praxisnah auszubauen.
Dabei sieht sich das Kinderhaus Luise Winnacker auch als Vorreiter einer politisch-pädagogischen Mission: ein Bildungssystem, das demokratischer und humaner ist und keine regelmäßigen Bildungsverlierer produziert. „Wir wünschen uns, dass unser immer noch innovatives Konzept auch in anderen Universitätsstädten Schule macht“, sagen die Macher.
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