Der Komponist Antonio Salieri muss nur mit der Feder mitschreiben, was sein Konkurrent, der große, jedoch erkrankte Mozart, da diktiert, während er sichtlich angeschlagen im Bett liegt. Der berühmte Filmregisseur Miloš Forman trug mit dieser Szene aus „Amadeus“ zur Mythenbildung bei: Ein morbider Mozart, der wie ein Genie sein letztes musikalisches Meisterwerk, das Requiem in d-Moll, zu Protokoll gibt – was so natürlich nicht stimmte.
Die Choreographen Erion Kruja und Giuseppe Spota widmen sich im Musiktheater im Revier (MiR) dieser berühmten Komposition. Während der MiR-Opernchor die Vokalsolisten (Sopran, Alt, Tenor und Bass) stellt, sorgt die MiR-Dance-Company für die tänzerischen Momente. Für ihreChoreographie greifen Kruja und Spotaauch die Mythen auf, die sich seitdem um Mozarts Musikstück ranken. Denn sein Auftragswerk, gesponsert von der Katholischen Kirche, eröffnet noch immer visuelle und choreographische Assoziationen, die sich auf der Bühne umsetzen lassen.
Die Tänzer Erion Kruja und Giuseppe Spota kommen beide aus dem Ballett, bevor sich insbesondere Kruja im zeitgenössischen sowie experimentellen Tanz hervortat. Der Albaner choreographierte auf renommierten Bühnen in London, Amsterdam und Beijing ebenso klassische Werke, um diese zugleich in ein neues, oft auch immersives Licht zu rücken.
Das bietet sich natürlich auch bei Mozarts „Requiem“ an, denn die von seinen Schülern Joseph Eybler und Franz Xaver Süßmayr vervollständigte Komposition führte nicht nur zu Spekulationen rund um den berühmtesten Salzburger, der das Musikstück angeblich in der Erwartung seines eigenen Ablebens kreierte. Seine Totenmesse hat sich zudem ins kulturelle Gedächtnis eingebrannt, diente etwa oft leitmotivisch als Soundtrack.
Doch dieses titelgebende Ritual, mit der Sterbende Abschied vom Leben nehmen und damit vielleicht Trost finden (also, eben nicht anonym an europäischen Außengrenzen oder einsam in überlasteten Krankenhäusern verrecken), ist nicht auf die Katholische Kirche zu begrenzen. Durch Tanz, Bewegung sowie Bilder greifen Erion Kruja und Giuseppe Spota daher Zeremonien aus anderen Kulturen auf, die sie dem christlichen Ritual der Totenmesse gegenüberstellen.
Requiem | Choreographie: Erion Kruja, Giuseppe Spota | 15., 22.1., 5.2. 19.30 Uhr (P) | Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen | 0209 409 72 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Fantastische Bilderwelten
„Big Fish“ im Gelsenkirchener MiR – Musical in NRW 05/19
Sodom und Gomorrhakirchen
„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 04/19
Es stinkt im Dorf
Bizets „Perlenfischer“ als packendes Sozialdrama – Oper in NRW 02/19
Der Prediger als Opferlamm
Leonard Bernsteins „Mass“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 12/18
Ein König von Sinnen
Verdis „Nabucco“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 09/18
Der Trottel und der hübsche Nerd
Donizettis „Liebestrank“ in Gelsenkirchen – Oper in NRW 07/18
Auf Droge in die Fabrik
„Moskau, Tscherjomuschki“ von Schostakowitsch in Gelsenkirchen – Oper in NRW 05/18
Verletzlich und stark zugleich
Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 06/22
Eine Sprache für das Begehren
14. SoloDuo Tanzfestival im Barnes Crossing – Tanz in NRW 05/22
Gesellschaftlicher Drahtseilakt
„tipping points“im Ringlokschuppen Ruhr – Tanz an der Ruhr 04/22
In gläsernen Zellen
„absence#1.2 – AntiKörper“ im Barnes Crossing – Tanz in NRW 04/22
Sterbt, aber tanzt
„Dances of Death“ auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 03/22
Barnes Crossing lebt
Kölner Choreographinnen-Netzwerk – Tanz in NRW 03/22
Doch kein Don Quijote
Slava Gepner und die TanzFaktur im Jahr 2021 – Tanz in NRW 02/22
Die Realität des Körpers
Doris Uhlich zeigt Nacktheit als Selbstbestimmung – Tanz in NRW 01/22
Wie werden Frauen gelesen?
Riebesam experimentiert mit der Sprache des Tanzes – Tanz am Rhein 12/21
Ballettwunder trifft Patriarchat
Tanz-Adaption einer umstrittenen Shakespeare-Komödie – Tanz am Rhein 11/21
Denken mit dem Knie
„A Universal Opinion” in der TanzFaktur – Tanz in NRW 11/21
Das Ringen mit dem Bild
Mira 10 zeigt weibliche Ikonen – Tanz am Rhein 10/21
Der Körper weiß mehr
Die Metabolisten zeigen, wie der Körper denkt – Tanz am Rhein 09/21
Jenseits der Vergänglichkeit
„Cascade“ von Meg Stuart auf PACT Zollverein – Tanz an der Ruhr 09/21
Der Zauber der Bewegung im Bild
Tanzarchiv zeigt Liaison zwischen Tanz und Fotografie – Tanz am Rhein 08/21
Dekolonisierung der Körper
Amanda Piñas „Danza y Frontera“ bei der Ruhrtriennale – Tanz an der Ruhr 08/21
Jesus in High Heels
Sommerakademie an der TanzFaktur Köln – Tanz in NRW 07/21
Begegnung mit dem Anderen
Das El Cuco Projekt zeigt das lauernde Tier in uns – Tanz in NRW 12/20