Historisch
Alte Freiheit – ihren Namen verdankt die inzwischen zur Einkaufsschlucht gegossene Beton- und Steinlandschaft im Herzen Elberfelds der über tausendjährigen Geschichte der Stadt. Eine Fliehburg stand damals im umfriedeten Teil der Festungsanlage. Und so galt schon im Frühmittelalter die höchst dialektische Trennung: hier Freiheit, dort Frieden. In der Burg gab es nur partiell Freiheit, es herrschten Freiherren und Freifrauen. Die waren also frei. Alle anderen lebten als Knechte. Draußen wiederum lagerten wahlweise Franken, Sachsen, Raubritter und Wegelagerer. Diese galten als frei, deshalb nannte man den Platz vor der Burg „Freiheit“. Und die ist nun, in die Jahre gekommen, zur alten Freiheit geworden. Viel geändert hat sich aber seitdem nicht. Dort der Hauptbahnhof und die Bundesbahn mit Freiherr von Mehdorn und seinen ausgehorchten Vasallen, hier die letzten Heroen unserer Zeit mit ihrem Heroin. Künstlerisch eindrucksvoll hat ein kreativer Geist dort, wo Nichtsesshafte „Platte“ machen, den Freien und Vogelfreien unserer Zeit ein Denkmal gesetzt. Eine Metallgestaltung in Form eines Sarges erinnert an das Endliche aller Freiheit.
Fiskalisch
Stolz ragt der steile Zahn in den freien Himmel. Die Sparkasse zu Wuppertal ist zwar nicht ganz so hoch wie das Gebäude der Deutschen Bank in Frankfurt, dafür sind deren Zahlen aber auch nicht ganz so rot. In den letzten krisengeschüttelten Monaten haben die deutschen Sparkassen und somit auch unsere Sparkasse viele Kunden gewonnen, die zuvor bei privaten Geldinstituten Roulette spielten. Vielleicht, so die altertümliche und inzwischen wieder beliebte Weltsicht, kann Geld verliehen werden, damit Produktionsmittel angeschafft werden. Das Verleihen von verliehenem Geld, um verliehenes Geld zurückzuzahlen, das jemand geliehen bekommen hat, um geliehenes Geld zurückzuzahlen, kommt gerade aus der Mode. Vor gut einem halben Jahr nannten das Betriebswirtschaftler noch „Freier Markt“. Ein kleiner Wermutstropfen sei erwähnt. Die Sparkasse unterhält auch Geschäftsverbindungen zur Westdeutschen Landesbank. Jenes Düsseldorfer Geldinstitut machte bei der Kettenbriefaktion der weltweit entfesselten Finanzmärkte intensiv und erfolglos mit.
Unterirdisch
Unter den Gullideckeln plätschert und gluckert es. Ein gewohntes, ja beruhigendes Geräusch. Doch wie lange noch? Sind die flüssigen Abfallstoffe der Stadt vielleicht bald heimatlos? Einige Jahre war man so frei und verhökerte alles, sogar das, was niet- und nagelfest war, an Meistbietende. Unsere Kanalisation gehörte deshalb bald einem US-amerikanischen Leasingpartner. Crossboarder hieß das Zauberwort. Nicht nur die Banken, auch die öffentlichen Hände hofften, im freien Markt den schnellen Euro zu erzielen. Dass nun, auch im Zuge der Banken- und Versicherungspleite, die hiesige Müllverbrennungsanlage zu einer Geldverbrennungsanlage werden könnte, hat sich manch marktliberaler Kommunalpolitiker nicht träumen lassen. Diese verkünden aber inzwischen Entwarnung. Der US-Deal kostet den Wuppertaler nichts. Kann man ihnen glauben, wenn die Freiheit diesmal als „Freiheit vor Verantwortung“ in 1.000seitigen geheimen Verträgen versteckt ist?
Tierisch
Nur gut, dass der Zoo noch nicht an eine ausländische Fernsehanstalt verkauft wurde. Sonst müssten sich die dort beschäftigten Raubtierpfleger in Castingshows zum Affen machen. Einer der Löwenbändiger hat das bei Dieter Bohlen schon gemacht? Nun gut, auch eine tüchtige öffentliche Verwaltung kann nicht jede Katastrophe verhindern. Und der verhinderte deutsche Superstar mit der Löwenmähne hat sich einfach die Freiheit genommen. Aber Vorsicht, nicht jeder Wuppertaler wird bei RTL Millionär.
Parteiisch
Die Freie Demokratische Partei Deutschlands hat so unterschiedliche Charaktere wie Hildegard Hamm-Brücher und Jürgen W. Möllemann hervorgebracht. Politisch ist diese Partei also irgendwo zwischen Mahatma Gandhi und Muammar al-Gaddafi zu verorten. Während die Bundespartei demoskopisch demnächst die Sozialdemokratie überholt, wird Wuppertal aber noch immer nicht von der FDP regiert. Die Ratsfraktion kümmerte sich im vergangenen Jahr um die Einrichtung von Taubenhäusern. Dabei geht es nicht um Obdach für Gehörlose, sondern um ein perfides Täuschungsmanöver. Eier werden gegen Gipseier getauscht.
Ökologisch
Unsere Bundesregierung hat eine Umweltprämie erschaffen. Wer seinen alten Golf-Diesel mit fünf Liter-Verbrauch gegen einen Porsche Cayenne mit 15 Litern Verbrauch eintauscht, bekommt satte 2.500 Euro Ökobonus vom Staat. Freie Fahrt für freie Bürger, der alte Slogan gewinnt wieder an Tempo. Dahinter steckt natürlich nicht in erster Linie der Wunsch, nett zu Umwelt und Klima zu sein, sondern der hiesigen Automobilbranche zu helfen. Viele Autoteile werden auch in und um Wuppertal fabriziert. Nur zieren sich im Moment die Firmen, sich als Opel-Zulieferer zu outen. Etliche Arbeitsplätze seien in Gefahr, wird gemunkelt. Vielleicht brauchen wir in diesen Zeiten nur eine neue orwellsche Sprache. Nachdem schon kalorien-, koffein- und alkoholfreie Produkte beliebt sind, könnte die Zukunft doch im arbeitsfreien Leben liegen.
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Kampf um Kalorien
Intro – Den Bach runter
Nach dem Beton
Teil 1: Leitartikel – Warum wir bald in Seegräsern und Pilzen wohnen könnten
„Städte wie vor dem Zweiten Weltkrieg“
Teil 1: Interview – Stadtforscher Constantin Alexander über die Gestaltung von Wohngebieten
Für eine gerechte Energiewende
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Wuppertaler Forschungsprojekt SInBa
Keine Frage der Technik
Teil 2: Leitartikel – Eingriffe ins Klimasystem werden die Erderwärmung nicht aufhalten
„Klimakrisen sind nicht wegzureden“
Teil 2: Interview – Der Ökonom Patrick Velte über die Rückabwicklung von Nachhaltigkeitsregulierungen
Von Autos befreit
Teil 2: Lokale Initiativen – Einst belächelt, heute Vorbild: Die Siedlung Stellwerk 60 in Köln
Der Ast, auf dem wir sitzen
Teil 3: Leitartikel – Naturschutz geht alle an – interessiert aber immer weniger
„Extrem wichtig, Druck auf die Politik auszuüben“
Teil 3: Interview – NABU-Biodiversitätsexperte Johann Rathke über Natur- und Klimaschutz
Unter Fledermäusen
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Arbeitskreis Umweltschutz Bochum
Vielfalt in den Feldern
Belohnungen für mehr Biodiversität in der Landwirtschaft – Europa-Vorbild: Österreich
Was bleibt
Die Natur und wir – Glosse
Hört das Signal
Intro – Gesund und munter
Privatvergnügen
Teil 1: Leitartikel – Die Zweiklassenmedizin diskriminiert die Mehrheit der Gesellschaft
„Das Gesundheitssystem wird unter Druck geraten“
Teil 1: Interview – Arzt Bernhard Winter über den Vorwurf einer Zweiklassenmedizin
Verbunden für die Gesundheit
Teil 1: Lokale Initiativen – Wuppertals Selbsthilfe-Kontaktstelle unterstützt Bürgerengagement
So ein Pech
Teil 2: Leitartikel – Opfer von Behandlungsfehlern werden alleine gelassen
„Der Arzt muss dieses Vertrauen würdigen“
Teil 2: Interview – Kommunikationswissenschaftlerin Annegret Hannawa über die Beziehung zwischen Arzt und Patient
Gesundheit ist Patientensache
Teil 2: Lokale Initiativen – Die Patientenbeteiligung NRW in Köln
Heimat statt Pflegeheim
Teil 3: Leitartikel – Seniorengerechtes Bauen und Wohnen bleibt ein Problem
„Wo Regelmäßigkeit anfängt, sollte Nachbarschaftshilfe aufhören“
Teil 3: Interview – Architektin Ulrike Scherzer über Wohnen im Alter
Gemeinsam statt einsam
Teil 3: Lokale Initiativen – Wohnen für Senior:innen bei der Baugenossenschaft Bochum
Senioren und Studenten müssen warten
Das Wohnprojekt Humanitas Deventer verbindet Generationen – Europa-Vorbild: Niederlande
Wenn der Shareholder das Skalpell schwingt
… und der Patient zur Cashcow wird – Glosse
Einig im Treten
Intro – Arbeitskämpfe