Es wird nass auf der Bühne des Tanztheaters Wuppertal. Nass und wild. Zum wiederholten Mal nimmt das Haus Pina Bauschs berühmtes Spätwerk „Vollmond“ wieder auf, das als eines von vier Stücken in Wim Wenders‘ Filmbiographie über die große Choreographin eine zentrale Rolle spielt und in dem sich Bausch intensiv mit dem Medium Wasser auseinandergesetzt hat. Schwungvoll spritzt es aus Eimern und Flaschen, sprudelt aus Mündern, strömt von der Decke, schwappt in einer Art Flussbett über den Boden, sorgt auf der ansonsten nüchternen Bühne für spektakuläre Bilder, während das Ensemble Menschen zeigt, die trotz aller Begierde und Laszivität nicht wirklich zusammenkommen können. Die Liebe ist in diesem Setting nicht von Dauer, sondern vielmehr ein ständiges Hin und Her, ein Spiel aus Verführung und Abwehr, ebenso fluide wie das alles dominierende Nass. In diesem Spannungsverhältnis hat Bausch einst eine ihrer Collagen geschaffen, augenzwinkernd, ausdrucksstark und spritzig. Musikalisch greift „Vollmond“ dabei auf eine große Bandbreite zurück, setzt ebenso sehr auf Tom Waits wie auf Acid House, bleibt im Grundsatz ruhig und verlangt doch insbesondere den Männern einiges ab, die in ihrem kraftvollen Tanz nur selten zur Ruhe kommen. Andererseits, klitschnass sind sie am Ende sowieso.
2006 feierte „Vollmond“ seine umjubelte Uraufführung, drei Jahre vor dem Tod von Pina Bausch. Seitdem wird es in Wuppertal immer wieder auf den Spielplan gesetzt, zuletzt 2018. Einige der Tänzerinnen wie Silvia Farias Heredia und Julie Anne Stanzak waren schon vor 16 Jahren mit dabei (die Männer sind dagegen allesamt neu), und es liegt nicht zuletzt an Bauschs Wirken, dass eine Altersgrenze beim modernen Tanz inzwischen obsolet geworden ist. Gleichwohl vollzieht das Ensemble derzeit einen Generationenwechsel – vor vier Jahren waren noch weitaus mehr ehemalige Mitglieder beteiligt. Allerdings ist die fast zweieinhalbstündige Choreographie, die mit ihrer Mischung aus Ironie und Poesie, mit ihrer Dynamik und ihrer Verschmelzung von Schauspiel und Tanz Pina Bauschs Kunstverständnis in voller Blüte zeigt, vor allem physisch überaus fordernd. Die Proben der Wiederaufnahme hat der Künstlerische Betriebsdirektor des Tanztheaters Wuppertal und langjähriger Assistent Bauschs, Robert Sturm, selbst geleitet.
Vollmond | 18.-20.11. 19.30 Uhr | Opernhaus Wuppertal | 0202 563 76 66
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