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Problemlose Partnerschaften sind selten
Foto: Mareike Wahle

Wuppertal - Strassburg: 408 km

01. Juni 2009

Am 7. Juni wird ein neues Europaparlament gewählt - THEMA 06/09

Die Grünstreifenhoheit hat eindeutig die Sozialdemokratie in unserer Stadt errungen. Mit ihren großformatigen Plakatwänden besetzten die Sozis als Erste die Freiflächen an der Magistrale. Und so, wie sie immer zwischen den beiden Friedrichs, dem ollen reaktionären Ebert und dem noch olleren, aber revolutionären Engels eingequetscht waren, sind sie auch heute noch in ihrer Wagenburg zuhause. Mit den Plakaten auf der B7 polemisieren sie sowohl auf der Friedrich-Engels-Allee wie auf der Friedrich-Ebert-Straße gegen alle politisch Andersdenkenden. Links von Münteferings ehemaliger Volkspartei gibt es, so die Aussage der Karikaturen, nur Haarföhne, rechts nur Geizkragen und Kredithaie. Ob so die SPD zusammen mit den bei der Kampagne geschonten Grünen eine Mehrheit erringen kann, ist fraglich.

Eine Mehrheit wofür überhaupt? Wie so oft wird die Europawahl von allen beteiligten Parteien genutzt, um Vorwahlkampf für wichtigere Wahlen zu betreiben. Der Bevölkerung bekommt weder von den Plakatwänden noch von Presse, Funk und Fernsehen erklärt, wozu ein Europaparlament gut sein kann. Die Massenmedien berichten detailliert von den verschiedenen Gipfeltreffen der Regierungschefs. Sogar die Menüfolge der Staatsbanketts wird dem Publikum serviert. Aber brandheiße und hochspannende Debatten aus Straßburg gibt es höchstens auf intellektuellen Spartensendern im Nachtprogramm zu sehen. Aus diesem Umstand erwächst bestenfalls ein Desinteresse an der Europapolitik, wie an der Wahlbeteiligung abzulesen ist. Seit der ersten Europawahl vor 30 Jahren sank diese kontinuierlich von 63 auf zuletzt 45 Prozent im Jahr 2004. Gravierender aber erscheint die zunehmende Europaverdrossenheit.

Die EU erscheint inzwischen für viele Bürgerinnen und Bürger als ein bürokratischer Moloch, der sich ungefragt in alle Lebensbereiche einmischt. Die Größe der Äpfel und die Krümmung der Gurken würden von Kommissaren bestimmt. Tatsächlich gibt es sogar lustige Beispiele, wie die europäische Bürokratie arbeitet. So diskutierte das Europaparlament tatsächlich darüber, ob es für eine EU-Richtline zum Verbot bestimmter Lebensmittelfarben zumindest bei Tierfutter Ausnahmeregelungen geben dürfe. Die Parlamentarier zeigten sich tolerant, und so tragen die Flamingos in den Zoos des Kontinents wieder ein rosa Federkleid. Durch die gesetzlich und ökologisch korrekte Befütterung waren die scheinbaren Einbeiner grau geworden, weil die artgerechte Versorgung mit Krabben zu teuer und der künstliche Farbzusatz verboten war.

Vom armen Michel, der nur zahlt, ist da die Rede. Dabei sieht die Realität anders aus

Europa eignet sich aber nicht immer als Witzfigur. In der CSU und in Teilen der CDU werden europafeindliche Stammtischparolen inzwischen gern aufgegriffen. Bei rechtsradikalen Parteien gehörten solche Sprüche schon immer zum guten Ton. Vom armen Michel, der nur zahlt, ist da die Rede. Dabei sieht die Realität anders aus. Während ein Belgier pro Jahr knapp 400 Euro in die EU-Kasse einzahlt, ist der Bundesbürger mit etwa 250 Euro dabei und rangiert so im Mittelfeld der Beitragszahler. Als geographisch zentral gelegene Nation aber profitiert Deutschland enorm von den Handelsbedingungen, die in den letzten Jahrzehnten erheblich vereinfacht wurden. Wer sich zudem einmal genauer in Brüssel umgeschaut hat, wird erstaunt sein. Verglichen mit der Verwaltung einer deutschen Großstadt ist die EU-Bürokratie eher bescheiden dimensioniert. Dabei gelingt den 27 Mitgliedstaaten etwas Einmaliges. Trotz des babylonischen Sprachgewirrs mit 23 Amtssprachen funktioniert das Europaparlament als weltweit einzige direkt gewählte supranationale Institution. Obwohl sie neben den USA, Russland und China unbedeutend erscheint, ist die EU global gesehen ein Koloss. Etwa eine halbe Milliarde Menschen erwirtschaften das größte Bruttoinlandsprodukt der Welt.

Wie aber ist die kontinentale Einigung für den einzelnen Menschen zu erkennen? Die nichtdeutschen EU-Bürger in Wuppertal profitieren von der Freizügigkeit in der Union. Tatsächlich ist die Integration von Italienern, Spaniern und Portugiesen in die deutsche Mehrheitsgesellschaft kein Thema mehr. Aber auch der Inländer kann Vorteile verspüren. Musste er während einer Autoreise nach England bis zum Jahr 2002 noch vier Landeswährungen mit sich führen, reichen nun Pfund und Euro.

Letztlich kann sich Europa ein Beispiel an Wuppertal nehmen. Als vor 80 Jahren Barmen und Elberfeld vereint wurden, war der Unmut vieler Zeitgenossen groß. Die Städteehe mit neuem Familiennamen schien aus damaliger Sicht ein abenteuerliches Unterfangen. Heute legen nur noch die Alteingesessenen wert darauf, dass sie Barmer oder Elberfelder sind. Junge Leute sagen selbstverständlich, dass sie aus Wuppertal kommen, oder eben aus einem Ort bei Köln. So mag sich die kommende Generation auf unserem Kontinent vielleicht auch mehr als Europäer denn als Griechen, Dänen, Polen oder Deutsche verstehen. Wahrscheinlich trifft diese Vision eher zu als die eines geeinigten bergischen Städtedreiecks. Wer wohnt schon gern in Wupsolrem? Dann doch lieber in Europa.

LUTZ DEBUS

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