Der Bezirksbürgermeister von Elberfeld schäumt vor Wut. Wenn Barmen nicht bald seine Finanzen in Ordnung bringt, dann muss jener Stadtteil eben wieder seine alte Währung einführen. Besonders das Briller Viertel und auch das Zoo-Viertel möchten nicht weiter für die Misswirtschaft in Oberbarmen, Heckinghausen und Wichlinghausen bezahlen, erklärten Vertreter jener wohlhabender Wohnquartiere im noch gemeinsamen Rat der Stadt. Überhaupt sei die Vereinigung von Barmen und Elberfeld viel zu überhastet geschehen, ist von vielen Elberfeldern zu hören. In Barmen inzwischen entließ man ein Drittel der Stadtbediensteten. Gleichzeitig wurden alle kommunalen Steuern drastisch erhöht. Doch all diese Maßnahmen greifen nicht. Durch den massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit und die Abwanderung der letzten großen Firmen nach Elberfeld wächst das Haushaltsdefizit rapide.
Natürlich ist diese Vision eines auseinanderfallenden Wuppertals fast frei erfunden. Würden wir aber ein geeintes Europa als genauso eine Selbstverständlichkeit begreifen wie eine geeinte Stadt, Politiker würden gar nicht auf die Idee kommen, südeuropäischen Ländern unsere Hilfe zu verweigern, den Staatsbankrott zu empfehlen oder aus der gemeinsamen Währung auszuschließen. Warum also ist das Modell Wuppertal nicht auf den Euro-Raum zu übertragen? Der Gedanke eines geeinten Europas verliert in weiten Teilen der Bevölkerung und auch bei vielen Politikern bei wachsenden Schwierigkeiten weiter an Attraktivität. Dabei macht es unsere Stadt seit Jahren und Jahrzehnten vor. Das Nebeneinander verschiedener Lebensstandards und kultureller Identitäten ist hier Realität. Ein großer Unterschied ist trotzdem auszumachen. Während Wuppertal mit der Landes- und der Bundesregierung über übergeordnete Entscheidungsinstanzen verfügt, ist Europa mit einem fast machtlosen Parlament, einer fast machtlosen Europäischen Kommission und einigen egomanischen Regierungschefs ausgestattet. Die Vereinigten Staaten von Europa, eine Fiktion, die in der Nachkriegszeit für viele eine Alternative zur Kleinstaaterei war, verliert an Strahlkraft. Das Böse – diese Tendenz ist in politischen und ökonomischen Krisenzeiten oft zu beobachten – findet der Deutsche jenseits seiner Staatsgrenze. Der faule Grieche, der korrupte Italiener, der unterentwickelte Portugiese, der bankrotte Spanier, sie alle bedrohen unsere stabile Wirtschaft.
„Vorpommern wäre ohne den Rest der Republik doch auch schon längst insolvent“
Hört man sich bei Menschen in der Stadt um, die aus südeuropäischen Ländern stammen, erhält man aber ein differenzierteres Bild. Natürlich gibt es auch innerhalb jenes Personenkreises Menschen, die über die Verhältnisse am Mittelmeer klagen. Korruption, Steuerhinterziehung, ein aufgeblähter Staatsapparat, all diese Gründe für die Schuldenkrise in den südeuropäischen Staaten werden auch von vielen Menschen, die von dort stammen, gesehen und teilweise sogar noch vehementer kritisiert. Aber auch andere Gründe für die drohenden Staatspleiten werden vorgebracht. Den Gesprächspartnern ist eines allerdings gemein: Sie wollen nicht mit ihrem Namen zitiert werden. Zu groß ist wohl noch immer die Scham der einstigen Arbeitsemigranten und deren Nachkommen, ihr einstiges Gastland, in dem sie jetzt heimisch geworden sind, offen zu kritisieren. Eine junge Frau, deren Eltern aus Portugal stammen, gibt zu bedenken, dass die südeuropäischen Krisenländer fast ausschließlich von der Landwirtschaft leben. „Ohne Industrie und Dienstleistungssektor ist kein Wohlstand zu erwirtschaften“, erklärt die Verwaltungsangestellte. Die Wirtschaftslage von Portugal sei mit der mancher neuer Bundesländer zu vergleichen. „Vorpommern wäre ohne den Rest der Republik doch auch schon längst insolvent.“ Zudem habe gerade Deutschland viel Geld in Südeuropa verdient. Das sieht der Besitzer eines italienischen Restaurants in Elberfeld ganz ähnlich. „Den jetzigen Schuldenstaaten wurde von den großen Banken das Geld förmlich aufgedrängt.“ Wenn er als Privatmann einen Kredit aufnimmt, wird seine Bonität doch auch penibel geprüft. „Hat man das bei Griechenland etwa aus Versehen vergessen?“ Letztens habe der Gastronom eine Karikatur in einer Zeitung gesehen. Ein Gerichtsvollzieher lässt alle Einrichtungsgegenstände aus einem griechischen Restaurant tragen und sagt zu dessen Besitzer: „Nun müssen Sie nur noch gute Gewinne machen, und schon sind Ihre Probleme gelöst.“
Übrigens auch Wuppertaler, die von hier stammen, schauen mit Sorge auf die Euro-Krise. Viele bangen um die heimische Wirtschaftsleistung, die ja stark vom Export auch nach Südeuropa abhängt. Und die, die noch Geld anlegen können, erinnern sich bang an die letzte Finanzkrise vor drei Jahren. Der Bankencrash hat manchen privaten Kreditgeber sein Vermögen gekostet. In dieser Hinsicht zumindest kann Jürgen Harmke von der Stadtsparkasse Wuppertal seine Kunden beruhigen. „Grundsätzlich gilt es als am sichersten, die Geldanlage breit zu streuen.“ Wer sowohl in Aktien, Immobilien, Edelmetalle und festverzinsliche Wertpapiere investiert, trage ein vergleichsweise geringes Risiko. Schaut man auf die soziale Situation in Griechenland, erscheint die Frage nach der richtigen Geldanlage allerdings als Luxusproblem.
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