
Mammuth
Deutschland 2010, Laufzeit: 92 Min., FSK 12
Regie: Benoît Delépine, Gustave de Kervern
Darsteller: Gérard Depardieu, Yolande Moreau, Isabelle Adjani
Gérard Depardieu brilliert in diesem unorthodoxen Roadmovie als ehemaliger Fleischer auf der Suche nach Rente, Liebe und Sinn. Benoît Delépine und Gustave de Kervern sind die Anarcho-Punks in der französischen Filmlandschaft: Nach ihrem subversivem „Louise hires a contract killer“, in dem unter der Führung von Yolande Moreau entlassene Fabrikarbeiter mit der Firmenleitung abrechnen, proben die Menschen von ganz unten in „Mammuth“ keinen Aufstand gegen die Obrigkeit, sondern begeben sich vielmehr auf eine verlorene Suche nach sich selbst. Die Ehe von Mammuth (Gérard Depardieu) und seiner Frau (Moreau) gleicht eher einem routinierten Neben- als einem harmonischen Miteinander. Mammuth war die letzten Jahre als Fleischer tätig, nun geht der Hüne mit der Löwenmähne in Rente. „Die Franzosen verdanken Ihnen die Qualität unseres Pökelfleisches“, dankt ihm sein Chef die Verdienste ums Vaterland und schickt ihn mit einem Puzzle nach Hause. Da er für die Rente Bescheinigungen seiner bisherigen Arbeitgeber benötigt, sattelt er sein Motorrad und macht sich auf den Weg zu den Brötchengebern der letzten Jahrzehnte: Friedhofswärter, Barbesitzer, Jahrmarktbetreiber – die Liste ist lang, und die ehemaligen Vorgesetzten nicht immer zuvorkommend. Zugleich holt den korpulenten Biker die Vergangenheit ein. Wiederholt halluziniert Mammuth eine Jugendliebe, die ihn auf seiner Reise geheimnisvoll begleitet. „Uns in Frankreich gehts gut“, murmelt Mammuth einmal zu einer verführerischen Unbekannten, und es ist nicht klar, ob seine Aussage Feststellung oder Frage ist. Der Film bezieht mit einem klaren Nein Stellung. Es wird einem nichts geschenkt in der Zivilisation, keine Gefallen, keine Emotionen, geschweige denn die Rente. Egoismus und Missgunst allerorten, und mittendrin Gérard Depardieu als griesgrämiger Fleischklops, der eher vegetiert als gelebt hat und sich, konsequent angepasst, ebenso wenig um Seinesgleichen schert. Die Regisseure begleiten ihren Rentner ohne Rente durch ein Land der Asozialen, die sich durch alle Gesellschaftsschichten ziehen. Wie bereits in „Louise hires a contract killer“ finden Delépine und de Kervern sichtlich Gefallen, den hoffnungslosen Ist-Zustand genussvoll zu überhöhen und die Macken ihrer Protagonisten brachial bis ins Absurde zu übersteigern. So entsteht eine gelungene, unangepasste Tragikomödie, die auch ästhetische Konventionen unterläuft und das Geschehen grobkörnig, unscharf, vergilbt oder unterbelichtet spiegelt. Damit folgt die Art der Inszenierung nur konsequent einem optischen Konzept, das den adäquaten Rahmen bildet zu einer surrealen Mär um Menschen am Abgrund. Ein in künstlerischer Hinsicht hochwertiges Sittengemälde, eine Milieuposse, geschmacklos, derbe, ohne Illusionen. Und am Ende doch so menschlich, wahrhaftig und sogar etwas hoffnungsvoll. So menschlich, dass es Angst macht und einen zugleich kopfschüttelnd grinsend aus dem Kinosaal entlässt, mit der Einsicht nämlich: Uns gehts gut. Oder?
(Hartmut Ernst)

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