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Sweet Mud
ISR/D/F/JAP 2006, Laufzeit: 97 Min.
Regie: Dror Shaul
Darsteller: Ronit Yudkevitz, Henri Garcin, Shai Avivi, Tomer Steinhof, Danielle Kitzis, Pini Tabger

Der israelische Regisseur Dror Shaul erzählt von den eigenen Erinnerungen an seine Kindheit im Kibbuz. Ein Rückblick auf eine besondere Gemeinde und ihre Disharmonien.

„Das Band von Brüderlichkeit, Zusammenarbeit und Gleichheit – In Arbeit, Besitz und Leben". So verkünden die Lettern auf dem Ehrenmal der Kibbuzbewegung nahe Degania die Idee: Eine israelische Gemeinde im Sinne von Gemeinschaftlichkeit und Freiwilligkeit. 2009 werden die verbliebenen 270 Kibbuzim auf eine hundertjährige Geschichte zurückblicken. Auf die Grundpfeiler, das Kollektiv ohne Privatbesitz, in dem jedes Mitglied gleichberechtigt für die Gemeinde lebt, in dem die Alten versorgt und die Kinder betreut werden. Fehlender Ehrgeiz aufgrund normierter Gleichheit, Eigennutz und Einflüsse von außen werden heute für den Niedergang der Idee verantwortlich gemacht. „Kibbuz Fly and Drive“: Während sich nach wie vor ausländische Volunteers zum „Work together“ in den Kibbuzim einfinden, wachsen dort die Konsumwünsche. Gemeinschaftliches Gut wird privatisiert, Einheitsgehälter sind passé, Manager kontrollieren außerhalb der Gemeinde das Wirtschaftsgut Kibbuz, das längst nicht mehr nur von der Landwirtschaft lebt. Es fehlt an Nachwuchs, die Jugend wandert aus, das Durchschnittsalter steigt. Glaubt man der Kritik, nutzt man heute dort, wo das „Carpe Diem“ noch gilt, erst einmal den Tag für sich und dann für die Bedürftigen.

Scheitern am Menschlichen

Regisseur Dror Shaul wuchs selbst in einem Kibbuz auf, in „Sweet Mud“ verarbeitet er autobiografische Erinnerungen. Sein Film führt zurück in die vermeintlich heile Welt eines Kibbuz im südlichen Israel Mitte der 70er. Dort steht der junge Dvir (Tomer Steinhof) vor seiner Bar Mizvah, seiner Firmung, wofür ihm die Gemeinde innerhalb eines Jahres dreizehn Aufgaben auferlegt. Während sich sein sexhungriger, egoistischer Bruder dem Wehrdienst entgegensehnt, kümmert sich Dvir um seine verwitwete und psychisch labile Mutter Miri (Ronit Yudkevitch). Diese bändelt gerade mit dem Schweizer Stephan (Henri Garcin) an und versucht, diesen in den Kibbuz zu integrieren. Durch die Jahreszeiten erzählt das melancholisch gefärbte Jugenddrama von Dvirs Erwachsenwerden, vom Alltag in der isolierten Idylle, von den Idealen und von den Grenzen der Kibbuz-Gemeinde. Wenn dabei gleich zu Beginn ein Farmer ins Maul eines Kälbchen onaniert und sich Männer fordernd und kaltherzig an ihren Frauen vergnügen, entzieht sich Shaul recht deutlich einer Kritik an den erwähnten äußeren Einflüssen: Für den Regisseur beginnt die Idee bereits vor 30 Jahren zu bröckeln, und er macht dafür weder Privatisierung noch Globalisierung verantwortlich. Die Idee scheitert, und das ist hier ganz alltäglich und selbstverständlich inszeniert, am einzelnen Menschen selbst. Die Integrationsbemühungen Stephans, die von Anfang an auf Vorurteile treffen, das verbitterte Festhalten am konservativen Regelwerk, das Fehlen von Selbstkritik und Ignorieren von Hilferufen, das Unvermögen zur Konfliktlösung. Das, was ursprünglich nach dem perfekten Lebensmodell klingt, erleidet schnell Brüche, wenn die Gemeinde an Ausreißer gerät, sie ignoriert und es ihnen überlässt zu gehen. Nur ist das für die Außenseiter nicht so einfach: So leicht kehrt man seiner Heimat nicht den Rücken.

Die Sehnsucht hinter den Bildern

Das schelmische Jugendabenteuer wächst zum Psychodrama, in dem der Idylle menschliche Kühle und Trostlosigkeit entgegengesetzt werden. Das paradiesische Kollektiv wird ganz plötzlich zum „Bösen“, zur Hölle, die Erfahrungen des Jugendlichen gestalten sich zwischen Schokolade und Valium, zwischen Streich und unbarmherziger Strafe als zartbitter. Der Kibbuz schwört hier physischer Gewalt ab, schneidet aber zugleich via konservativem Regelwerk und überholten Grundsätzen unerbittlich diejenigen Mitglieder, die am System zerbrechen.

Insgesamt gestaltet sich Shauls subjektiver Blick auf den Kibbuz natürlich exemplarisch und einseitig. Doch er zeigt das Menschliche. Inmitten seiner desillusionierenden Darstellung des Alltags im Kollektiv sind es dann auch weniger die eher düster gefärbten Erinnerungen und Anekdoten als die malerischen Bildkompositionen, die hier die Unschuld und den Grundgedanken von 1909 spiegeln. Mit verträumter Musik unterstreicht Shaul die Sehnsucht hinter seinen Bildern. Doch auch im Kibbuz, so sagt der Regisseur, sind „Menschen einfach nur Menschen“. Davon zu erzählen erforderte in diesem Fall viel Mut.

(Hartmut Ernst)

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