Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie kräftig an und handelt. Sagte schon Goethe, der alte Macher. Und mal ehrlich: was könnte erotischer sein als jemand, der die Dinge aktiv angeht? Der nicht nur schlau daherquatscht, sondern sich auch wirklich einsetzt für das, was er richtig und gut findet? Vergiss die Muckis, Moral ist in. Scheiss auf den Sixpack, trainier lieber dein Mitgefühl. Tue Gutes und rede darüber: Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement, das ist hoch angesehen! Endlich ein Nutzen, mit dem man sich auf kluge Weise gegen Geschlechtsgenoss*innen durchsetzen kann im Kampf um Aufmerksamkeit und Zuneigung. Denn: Wer Gutes tut, ist automatisch attraktiv.
Anstand als Aphrodisiakum, Ehrenamt als erotisches Kapital. Warum nicht heldenhaft Straßenhunde retten, im Repaircafe den Schraubenzieher schwingen; Menschen bei Behördengängen unterstützen oder im Eineweltladen faire Schokolade verticken? Sowas ziert ungemein. Und je nachdem, welches Arbeitsfeld man sich aussucht, ob militanter veganer Aktivismus oder der katholische Selbsthilfeverein, das passende soziale Netz erhält man ja automatisch dazu. So kommt man unter Leute! Ein Ehrenamt hilft, die Freizeit zu gliedern, überschüssige Geldvorräte abzubauen und es enthebt einen der ewigen Frage, warum im Fernsehen nur Schrott läuft. Ab und an mal etwas für Andere zu tun, etwas, wofür man kein Geld bekommt – das zahlt sich aus. Und wenn man dann damit angibt, ausgiebig Lorbeeren erntet bei den Mitmenschen, darf niemand etwas dagegen sagen – außer wenn er selbst noch weitaus mehr Gutes tut. Hey, die Hälfte unserer Zeit verbringen wir sowieso damit, die Anerkennung anderer Menschen erringen zu wollen. Warum nicht die Abkürzung nehmen und sich zum Beispiel ganz direkt als unverzichtbare Stütze von Demokratie und Gemeinwohl fühlen? Ob als Wahlhelfer beim Staat oder als Graswurzler im soziokulturellen Zentrum, Hauptsache man steht für etwas ein. Für Uniformfetischisten gibts die freiwillige Feuerwehr, für Stalker gibts Correl-Aid, wo man für gemeinnützige Organisationen Datenanalysen vornehmen kann, und biologisch Interessierte schützen Bienen und Blümchen. Auch beim Vögel zählen kann man sich näher kommen.
Wenn man schon nicht im Job die Welt retten kann, warum dann nicht nach Feierabend. Mehr als jeder Vierte in Deutschland tut es – das mit dem Ehrenamt – da sind bestimmt auch eine ganze Menge Paarungswillige dabei. Wenn man erst einmal gemeinsam das schöne Gefühl erlebt, wirklich helfen zu können, kommen die Hormone ordentlich in Schwung. Schon vor 250 Jahren erkannte der Ökonom Adam Smith, dass ehrenamtlich Tätige in ihrem Leben zufriedener sind. Das ist sehr gut für die eigene Ausstrahlung, denn ein entspanntes, selbstbewusstes Lächeln ist der erste Schritt zum erfolgreichen Flirt. Wer sich selbst mag, der der wirkt präsenter und anziehender. Fang gleich heute damit an!
Dann helfen wir uns selbst, indem wir uns gegenseitig helfen – alle sind für alle da. Was brauchts da noch einen Staat, wozu noch Steuern oder Sozialabgaben. Weg damit! Endlich sind wir frei und nur uns verpflichtet. Schluss mit den kapitalistischen Abhängigkeiten, schaffen wir uns ein System der Herzen. Dann wird der Kassenwart zum Romeo, die Schriftführerin zur Aphrodite. Und gemeinsam begründen wir ein neues Menschengeschlecht in freier Liebe. Das würde bestimmt sogar dem alten Goethe gefallen.
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