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René Tettenborn (M.) mit Vivian Böllersen und Steffen Heinke (Vorstand Ökonauten)
Foto: Ökonauten eG

„Verantwortungskultur der Konsumenten“

25. Oktober 2018

„Ökonaut“ René Tettenborn über genossenschaftliche Landwirtschaft

engels: Herr Tettenborn, warum haben Sie die Ökonauten gegründet und dafür die Form der Genossenschaft gewählt?
René Tettenborn: Wir wollten Verantwortung für eine vielfältige Landwirtschaft übernehmen und kamen damals aus verschiedenen Arbeitsbereichen. Einige von uns hatten auch schon solidarische Landwirtschaften gegründet. Ein Kollege und Gründungsmitglied der Ökonauten war politisch im Bündnis Junger Landwirtschaft aktiv, ich war Gründungsmitglied einer Bürgerenergiegenossenschaft und hatte daher schon Erfahrung in der Genossenschaftsarbeit sammeln können. Und dann dachten wir uns, wenn sich im Energiesektor Bürgergenossenschaften gründen könnten, ist dies in der Landwirtschaft auch möglich. Gewählt haben wir die Form deshalb, weil Genossenschaften sehr demokratisch gestaltet werden. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, Kapitalmacht weitestgehend zu begrenzen.

Wie arbeiten Sie mit den Landwirten zusammen?
Im Kern sieht es so aus, dass wir jungen Landwirten, die einen Betrieb aufbauen wollen, dabei helfen, Land zu erwerben. Das ist gerade für Berufsanfänger immer schwieriger geworden, weil sich die Flächenpreise in den letzten Jahren vervielfacht haben, gerade hier in Brandenburg, wo wir aktiv sind. Landwirte mit Gründungsabsicht können also auf uns zukommen, wir gucken uns ihre Geschäftspläne an und sprechen mit unseren Netzwerkpartnern. Dann gehen wir auf Landsuche, falls der Landwirt nicht bereits ein Stück Land im Blick hatte. Wir kaufen das Land dann mit Geld, das wir in der Genossenschaft sammeln und werben auch für neue Mitglieder, die schon mit einem kleinen Beitrag die Landwirtschaft unterstützen wollen, beispielsweise auch Freunde und Kunden. Dann verpachten wir dem Landwirt das Grundstück zu einem fairen Preis und langfristigen Pachtbedingungen. Das ist im Grunde unser Kerngeschäft, daneben machen wir aber auch viel Aufklärungsarbeit. Wir wollen den Leuten vermitteln, wenn sie eine Landwirtschaft haben wollen, die Bäuerinnen und ihre Familien ernähren kann und die Umwelt schont, dann muss man dieser auch eine Stütze geben, wenn sie langfristig erhalten bleiben soll.

Welche Tradition haben Genossenschaften in der modernen Landwirtschaft?
Das Konzept stammt ja ursprünglich sogar aus der Landwirtschaft und tatsächlich sind Agrargenossenschaften gar nicht selten, etwa in Form von Produktionsgenossenschaften. In dieser Form aber, bei der die die Bürger die Landwirte aktiv unterstützen, ist das eher ein jüngerer Ansatz. Bei den Bürgern müssen wir noch ein wenig das Verständnis aufbauen, dass die 500 Euro, die bei uns die Mindesteinlage sind, nicht verschenkt sind, sondern als Grundlage dafür dienen, dass der Landwirt Nahrungsmittel anbauen kann. Auf der Seite der Landwirte stoßen wir sowohl auf Zustimmung als auch auf Skepsis – manche sagen „großartig“, andere halten es für schwierig, alle Flächen auf diese Weise zu erschließen. Aber wir sehen uns auch nur als einen Baustein unter vielen.

Fördert das Vorgehen den Kontakt zwischen Stadt und Land?
Durchaus. Generalversammlungen halten wir inzwischen immer auf einem der Höfe ab. Wir laden auch regelmäßig auf unserer Flächen ein, wo man dann bei der Arbeit helfen oder andere gemeinschaftliche Erlebnisse haben kann, letztes Jahr etwa zum Erntedankfest. So etwas machen wir definitiv, aber nicht auf Teufel komm raus, immer mit den jeweils verfügbaren Ressourcen. Landwirte wollen natürlich auch in erster Linie ihre Arbeit machen und nicht jeden Tag Gäste bespaßen müssen.

Wie wird Ihre Arbeit von der Politik wahrgenommen?
Wir sind ja in einem Flächensicherungsnetzwerk, über das wird auch politische Arbeit gemacht. Die üblichen Verdächtigen wie die Grünen sind natürlich auf unserer Seite, aber auch sonst habe ich noch nie etwas Negatives von irgendeiner Seite gehört. Im schlimmsten Fall wird man in unserer Region ignoriert. In Brandenburg gibt es über eine Million Hektar Land, wir sind da als junges Pflänzchen mit einem Bruchteil daran beteiligt. Flächenmäßig sind wir noch ein kleiner Akteur, vertreten aber eine neue Form von Verantwortungskultur der Konsumenten. Da muss die Politik erstmal sehen, wie sie damit umgeht.

Wie ist ihr Verhältnis zu traditionellen Agrar-Akteuren?
Bei den großen Konzernen bleiben wir unter dem Radar. Bei den konventionellen Landwirten kommt es auf den Einzelfall an. Manche sagen, dass man mit drei, vier Hektar nichts anfangen kann und dass es am besten ist, wenn das Land im Eigentum der Bauern selbst ist. Da widerspreche ich auch gar nicht, das ist nur eben inzwischen für junge Landwirte nur schwer zu erreichen. Wir müssen den Landwirten eben auch erklären, dass wir als junge Generation auch andere Ansätze nutzen müssen, so wie sie zu ihren Zeiten neue Ansätze erprobt haben. Fest steht jedenfalls, dass man sich gegenseitig nichts wegnimmt und die derzeitigen Verhältnisse nicht gesund für Landwirtschaft und Umwelt sind.

Wie ausbaufähig ist Ihr Modell? Funktioniert das nur regional?
Wir haben uns bewusst dazu entschieden, unsere Aktivität auf Brandenburg zu beschränken, weil wir gerne engen Kontakt zu den Landwirten halten wollen und so von Berlin aus auch in ein, zwei Stunden auf dem Hof sein können. Ein Jahr vor uns hatte sich die Kulturland eG gegründet, die ähnlich arbeitet, aber deutschlandweit. Sie unterstützt also Höfe in ganz Deutschland, während wir den Fokus auf die Regionalität legen und dadurch den den Kontakt zwischen unseren Mitgliedern und den Landwirten einfacher gestalten können. Ich bin halt ein Freund davon, dass man mal eben auf dem Hof vorbeikommen, sich vorstellen kann und sagen: Hallo, ich bin auch Ökonaut.

Wie sehen Sie die Zukunft des Projekts?
Wir wollen weiterhin proaktiv auf junge Landwirte zugehen und unser Konzept vermitteln. Wir haben schon auch einen Wachstumsgedanken, aber es soll ein langsames Wachstum sein, das wir auch handhaben können. Wir sind eben derzeit ehrenamtlich tätig, und da wir bisher viel mit Eigenkapital gearbeitet haben, ist irgendwann eben auch die Grenze erreicht. Deswegen heißt es irgendwann, auch mit finanzkräftigeren Partnern zu kooperieren und denen die Möglichkeit zu geben, ökologische Verantwortung zu übernehmen – ob über die Genossenschaft oder eine Kooperation wird sich zeigen, da ist noch viel Potential. Der Fokus liegt aber immer darin, möglichst viele Bürger zu einem Teil einer verantwortungsvollen Landwirtschaft zu machen. Zusätzlich wollen wir aber vor allem Ansprechpartner für verantwortungsvolle Bürger und Eigentümer sein, auch für ältere Landwirte. Viele Hofinhaber sind Mitte 50, oder Anfang 60, da stellt sich irgendwann die Frage der Hofnachfolge.


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Interview: Christopher Dröge

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