Ein Paar (Beate Rüter, Thorsten Strauch) ist unzufrieden, man macht sich Vorwürfe, mit dem Sohn (Nico Hartwig) gibt es Probleme. Keine ungewöhnliche Situation, doch vom ersten Moment steht sie im Bann ganz spezieller Bedingungen, die im Ada-Obergeschoss dauerpräsent sind: Man lebt in einer Gated Community.
Dieses aus den USA bekannte Wohnkonzept hermetischer Abschottung ist hier einerseits explizit ausgeführt: Die Schauspieler agieren inmitten von Eisengittern. Schnurgerade, mathematisch kommt diese metallene Einfassung daher, Exaktheit rahmt das Geschehen. So wie die Rahmenbedingungen die darin Lebenden bestimmen: Gemeinschaftsfördernde Aktivitäten sind Pflicht, ständig müssen die Bewohner sich verifizieren.
Jugendlicher Übermut oder gesunder Menschenverstand?
Zugleich aber hebt diese Strenge alles ein gutes Stück ins Abstrakte. Wie auch anderes in Bühne und Ausstattung, das scharf die Kühle unterstreicht: Blau sind (nicht nur) die Haare der Frau, im Hintergrund flackern Bildschirme. Kuschelfaktor Null. Das krasse Gegenteil von Wohlfühlambiente –nicht nur für die Figuren, auch für das Publikum. Zurücklehnen und etwas Gemenschel genießen? Keine Chance.
Zum Wert der Einzäunung ist die Familie (alle namenlos) uneins: Der Mann würde gern ausbrechen, die Frau pocht auf die Sicherheit innerhalb der Zäune. Und der Sohn, von dem sie viel reden? Nico Hartwig tritt erst spät in Erscheinung tritt, bringt Dynamik ins Bühnengeschehen. Jugendlicher Übermut? Gesunder Menschenverstand? Auch er will jedenfalls nur „raus“. Und was meint das Stück, will der Zuschauer wissen?
Autor Richter gibt da nicht zu schnell seine Antwort. Er streut ein paar schockende Sätze, wie im Text der Frau: „Vielleicht kannst du ja das Tor bewachen ab nächsten Freitag. Oder die Leichen von den Elektrozäunen kratzen.“ Job-Empfehlungen an den Gatten sind das, von Beate Rüter leichthin daher gesagt. In ihrem Spiel lässt die Darstellerin generell offen, ob ihre Figur pathologisch zu lesen ist. Sie glaubt tote Hunde zu sehen, offenbar gibt es sie wirklich. Thorsten Strauch gibt den Ehemann still und phlegmatisch. Seine Frau strengt ihn an, doch ihrer überdrüssig wirkt er nicht.
Zweisamkeit gegen Sicherheit
Wie hilfreich, wie zerstörerisch also ist hier die totale Einhegung? Regisseurin Julia Wolff gibt klare atmosphärische Hinweise. Ununterbrochen zu sehen ist eine Wachperson im Hintergrund, die ebenso Gefängniswärter sein könnte. Einmal schlägt ein stummer Vermummter noch einen Haken ans Gitter, es klirrt. Fast physisch wird es in diesem Moment spürbar: das Bedrohliche des Schutzkonzepts. Und dann eine Szene, die in puncto Liebe alles sagt: In einem Versuch von Leidenschaft legt das Paar einen spontanen Tanz aufs Parkett. Soll es albern wirken, Verkrampftheit zeigen? Nein, im Grunde winkt die Entdeckung neuer Innigkeit – wären da nicht die Pflichten von „Gate“ und Gemeinschaft: Gnadenlos ruft ein Signalton zum Appell, brav weisen beide sich aus. Die zarte, kurze Intimität: Schon wieder dahin.
Fazit: Das Stück setzt Zweisamkeit gegen absolute Sicherheit. Wolffs Inszenierung macht sicht-, ja spürbar: Will Regulierung alles richten, droht nur Zerstörung. Kaputt, kaum Zweifel nach diesem trotz aller Kühle intensiven Abend, macht perfekte Ordnung jedenfalls die Liebe.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Erde als Planet und Masse
Ökologisches Mitmach-Atelier im Ada
„Wir exportieren Krieg“
Antikriegstag „Fluchtpunkt Frieden“ im Café Ada – Spezial 09/20
Ein ungewöhnlicher Ort zum Schlafen
„Probewohnen“ des Vereins Insel e.V.: Abschluss der Gründungswoche im Ada – Spezial 02/20
Vom Winde getrieben
Raoul Schrott bei „Literatur auf der Insel“ im Café Ada – Literatur 01/20
Handeln statt Empfehlen
Extinction Rebellion referierte in Elberfeld am Vorabend des Klimastreiks – Spezial 09/19
Flucht hinterm Kaffeetisch
Ausstellung „Asyl ist Menschenrecht“ im Café Ada – Spezial 12/17
Im Herbst viel Neues
Lesungen von Alissa Walser und Charlotte Roche – Prolog 09/15
Inklusiver Szenenabend
„Rampenschau“ am Theater am Engelsgarten – Prolog 06/22
„Wir haben Europa gelebt“
Tanzrauschen e. V. in Wuppertal produziert international und politisch engagiert – Interview 06/22
„Wir haben viel ausprobiert in den zwei Jahren“
Haiko Pfost über das Impulse Theater Festival 2022 – Premiere 06/22
Überhörte Warnschüsse
„Die drei Schwestern“ in Wuppertal – Prolog 06/22
Schmerz ist nie ein Freund
„Ex. Mögen die Mitspieler platzen“ am Theater am Engelsgarten – Auftritt 05/22
„Es geht um gesellschaftsrelevante Inhalte“
Intendant Olaf Kröck über die diesjährigen Ruhrfestspiele – Premiere 04/22
Der gefährliche Riss in der Psyche
„Die tonight, live forever oder das Prinzip Nosferatu“ am Theater Dortmund – Auftritt 04/22
Athener Wald am Abgrund
„Ein Sommernachtstraum“ an der Oper Wuppertal – Auftritt 03/22
Hunderte gelbe Schuhe auf Pump
„Der Besuch der alten Dame“ in Bochum – Bühne 03/22
„Ich habe keine Fehde mit Wagner“
Regisseur Nuran David Caliș über die große Nähe der Oper zum Kino – Premiere 03/22
„Der Spaß daran ist, dass es drunter und drüber geht“
Maja Delinić über „Ein Sommernachtstraum“ in Wuppertal – Premiere 02/22
Auf dem Berg, da gibt‘s koa Sünd
„Der Weibsteufel“ am Theater am Engelsgarten – Auftritt 02/22
Doppelbetten gehören nicht ins Arbeitszimmer
Theater am Engelsgarten zeigt „Der Fiskus“ – Auftritt 01/22
„Gibt es die Möglichkeit, ein Stereotyp vom Weißsein zu konstruieren?“
Joana Tischkau über Rassismus in der Karnevalskultur – Premiere 01/22
„Im Geiste dieser Zeit“
Matthias Grimminger spürt mit Akribie der Unterhaltungsmusik der Roaring Twenties nach – Interview 01/22
Arkadien liegt gar nicht so weit weg
Nicolas Charaux inszeniert Goethes „Faust“ – Auftritt 12/21
Zweifelnde Seelen
„Das Mrs.Dalloway Prinzip/ 4.48 Psychose“ in Dortmund – Auftritt 11/21
„Wir kennen alle diesen faustischen Konflikt“
Nicolas Charaux über „Faust“ an den Wuppertaler Bühnen – Premiere 10/21