Man muss nicht unbedingt den Film „Der Pate“ gesehen haben, um sich die Angst vor der Mafia in Palermo vorstellen zu können. Das berühmte „Angebot, das man nicht ablehnen kann“ ist in Siziliens Hauptstadt kein Hollywoodspruch sondern bitterer Alltag. Die Stadt ist weniger nach Stadtbezirken als vielmehr nach Mafiadistrikten geordnet. Hier ohne Schutzgeldzahlungen (dem „pizzo“) ein Geschäft zu eröffnen, war über Jahrzehnte undenkbar.
Wer sich dagegen wehrte, lebte gefährlich. Libero Grassi, ein Modeunternehmer, der sich in aller Öffentlichkeit weigerte, den pizzo zu bezahlen, wurde 1991 ermordet. Drei Kopfschüsse vor seiner Haustür. Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone kam 1992 ums Leben, nachdem die Cosa Nostra ihn samt Autobahn in die Luft gejagt hatte. Falcones Frau und seine drei Leibwächter starben mit ihm.
Doch dann zogen in einer Sommernacht 2004 sieben junge Studierende durch Palermo und klebten hunderte weiße Zettel an Ampeln, Türen und Hauswände: „Ein Volk, das Schutzgeld zahlt, hat keine Würde“, war darauf zu lesen. Ursprünglich wollte die Gruppe eine Bar eröffnen, doch als sie im Bereich Kosten schon selbstverständlich das Wort „Schutzgeld“ notieren wollten, reifte ein Entschluss: In Sizilien muss sich etwas ändern. Grundsätzlich.
Und tatsächlich: War pizzo war bis dahin ein von Angst durchsetztes Tabuthema in Sizilien, begann man nun über die Tat der jungen Aktivisten zu sprechen. Daraus wurde bald mehr. „Addiopizzo“ (Tschüss Schutzgeld) nannte sich die Initiative, die zunächst eine Gruppe von kritischen Konsumenten zusammentrommelte. Dann gelang es Addiopizzo, 400 Geschäftsleute zu verpflichten, kein Schutzgeld mehr zu zahlen und sämtliche Erpressungsversuche umgehend zu melden.
Eine kritische Masse war erreicht. Wer immer sich nun den Addiopizzo-Aufkleber an sein Geschäft klebte, demonstrierte: Ich bin nicht alleine. Und tatsächlich: Die Mafia machte einen Bogen um die Addiopizzo-Geschäfte; fürchtete Ärger mit dem Staat. So wurde Addiopizzo immer größer. 2008 eröffnete der erste schutzgeldfreie Supermarkt von Palermo. Inzwischen gibt es Addiopizzo-Statdpläne, Addiopizzo-Reisen und mehr als 1000 Addiopizzo-Anbieter.
Die Zeiten änderten sich. Plötzlich unterstützte sogar der bis dahin eng mit der Mafia verbandelte Industriellenverband Anti-Mafia-Initiativen und erkannte: eine korrupte Gesellschaft hat keine Zukunft. Und auf den von der Mafia konfiszierten Geländen entstanden auf einmal Kooperativen junger Menschen, die Dinge wie schutzgeldfreie Spaghetti und Erdbeermarmelade produzierten.
Noch ist die Mafia mit ihren mächtigen wirtschaftlichen und politischen Netzwerken dadurch nicht endgültig ins Abseits geraten. Immer noch kontrolliert die Cosa Nostra etwa 80 Prozent der sizilianischen Betriebe. Und doch zeigt der Erfolg von Addiopizzo den Sizilianern jeden Tag aufs Neue: Selbstverwirklichung ist möglich. Ganz ohne Angst vor der Mafia.
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