Wer den Film „Blair Witch Project“ einmal gesehen hat, geht in der darauffolgenden Zeit anders durch einen Wald. Aufgrund seines niedrigen Budgets und dafür großen Erfolges erregte der Horrorstreifen 1999 großes Aufsehen. Dabei passiert in 78 Minuten eigentlich – nichts. Jedenfalls gibt es keine Monster, keine Zombies, keine abgehackten Gliedmaßen, die einem Schrecken einjagen. Der Film spielt mit dem, was wir uns in unserem Kopf ausmalen. Jeder Zuschauer vervollständigt die Story auf seine Weise. Die Geräusche aus dem Film tauchen in jedem stinknormalen Wald auch auf, selbst hier im hollywoodfernen Bergischen. Kaum hört man das Klopfen, das Rauschen, das Rascheln, ist das von einem selbst projizierte Antlitz der Hexe von Blair wieder im Kopf. Bei zarter besaiteten Zeitgenossen stellt sich allein beim Gedanken daran Gänsehaut und Schwitzen ein. Schlimmstenfalls meiden „Blair Witch Project“-Gucker nach dem Filmgenuss zu später Stunde Wälder.
Schuld daran ist vermutlich Amygdala. Das ist nicht etwa eine Göttin der Angst in einer für uns Westeuropäer fernen Zivilisation, sondern der Teil des Gehirns, den Forscher für die Furcht vor Gefahren zuständig halten. Die Amygdala ist nicht sehr groß. Daher rührt auch ihr Name, denn er ist vom Griechischen „Mandelkern“ abgeleitet. Kommt einem irgendetwas komisch vor, dann liegt das daran, dass die Amygdala blitzschnell analysiert, ob eine Gefahr vorliegt, oder nicht. Dieser Vorgang wird im Mandelkern gespeichert, das heißt: Passiert nochmal etwas, das uns einmal Angst gemacht hat, werden erneut wieder Botenstoffe ausgesendet. Das kann auch aus Erfahrungen heraus geschehen, die wir – zum Glück – nicht vorher selbst erleben mussten, sondern von denen wir gehört, gesehen oder gelesen haben. Diese Erlebnisse werden ebenfalls abgespeichert. Nennen wir das für diesen Artikel einmal den Blair-Witch-Effekt.
Ohne Amygdala hätten wir Lebewesen aber auch echt ein Problem: Dann brächen uns Furcht und Aggressionen weg und wir hätten überhaupt keine Ahnung mehr, welche Situation für uns lebensgefährlich ist. Greifen wir den Wald und die Hexe wieder auf: Wir würden die Situation eines tatsächlichen Angriffs bei Nacht überhaupt nicht realisieren, wenn wir Geräusche um uns herum hören. Insofern hilft die Angst Lebewesen dabei, zu überleben.
Das kann aber auch umschlagen. Wenn Angst krankhaft wird, schätzen Menschen mit Angststörungen eigentlich ungefährliche Situationen genau umgekehrt ein. Der Körper gibt Kortisol und Adrenalin frei, sogenannte Stresshormone. Das kann zum Beispiel zu extrem unangenehmen Panikattacken führen. Der Kopf kann sich dann von selbst nur noch sehr schwer aus dieser Situation befreien, die zu einem antrainierten Mechanismus geworden ist. Glücklicherweise ist es in vielen Fällen möglich, unbegründete Angst wieder abzutrainieren – mithilfe von Therapien.
Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
Aktiv im Thema
aktion.arbeitsunrecht.de | Zusammenschluss von Arbeitern, Angestellten und engagierten Bürgern
www.werner-ruegemer.de | HP des Publizisten mit den Spezialgebieten Privatisierung, internationale Kapitalverhältnisse, Unternehmenskriminalität, Korruption und neoliberale Gesellschaft
www.attac.de | globalisierungskritische NGO für eine ökologische, solidarische und friedliche Weltwirtschaftsordnung
Thema im Juni: WALDESLUST – Wie gut kennen wir unsere grüne Lunge?
Wem gehört der Wald und was hat er mit der Stadt zu tun? Was bedeutet Ihnen der Wald? Schreiben Sie uns.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?
Als unabhängiges und kostenloses Medium ohne paywall brauchen wir die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser. Wenn Sie unseren verantwortlichen Journalismus finanziell (einmalig oder monatlich) unterstützen möchten, klicken Sie bitte hier.
Die Angst regiert
Wer will da noch mutig sein? – THEMA 05/16 ANGSTHASE
„Das Prekariat ist zum Standard geworden“
Werner Rügemer über den Druck, den Unternehmer auf ihre Belegschaft ausüben – Thema 05/16 Angsthase
Keine Angst vor der Mafia
Die Graswurzelinitiative „Addiopizzo“ bildet in Sizilien neues Anti-Mafia-Bewusstsein – Thema 05/16 Angsthase
Branchenprobleme
Intro – Gut informiert
Journalismus im Teufelskreis
Teil 1: Leitartikel – Wie die Presse sich selbst auffrisst
„Nicht das Verteilen von Papier, sondern Journalismus fördern“
Teil 1: Interview – Der Geschäftsführer des DJV-NRW über die wirtschaftliche Krise des Journalismus
Pakt mit dem Fakt
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Zentrum für Erzählforschung an der Uni Wuppertal
Teuer errungen
Teil 2: Leitartikel – Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss bleiben – und besser werden
„Die Sender sind immer politisch beeinflusst“
Teil 2: Interview – Medienforscher Christoph Classen über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Aus den Regionen
Teil 2: Lokale Initiativen – Das WDR-Landesstudio Köln
An den wahren Problemen vorbei
Teil 3: Leitartikel – Journalismus vernachlässigt die Sorgen und Nöte von Millionen Menschen
„Das Gefühl, Berichterstattung habe mit dem Alltag wenig zu tun“
Teil 3: Interview – Medienwissenschaftlerin Marlis Prinzing über Haltung und Objektivität im Journalismus
Von lokal bis viral
Teil 3: Lokale Initiativen – Die Landesanstalt für Medien NRW fördert Medienvielfalt
Nicht mit Rechten reden
Der „cordon sanitaire médiatique“ gibt rechten Parteien keine Bühne – Europa-Vorbild Wallonien
Der Vogelschiss der Stammesgeschichte
Wenn Menschenrechte gleich Lügenpresse sind – Glosse
Ich, Menschenfeind
Intro – Rechtsabbieger
Faschismus ist nicht normal
Teil 1: Leitartikel – Der Rechtsruck in Politik und Gesellschaft – und was dagegen zu tun ist
„Radikalisierung beginnt mit Ungerechtigkeitsgefühlen“
Teil 1: Interview – Sozialpsychologe Andreas Zick über den Rechtsruck der gesellschaftlichen Mitte
Nicht mit uns!
Teil 1: Lokale Initiativen – Das zivilgesellschaftliche Netzwerk Wuppertal stellt sich quer
Hakenkreuze auf dem Schulklo
Teil 2: Leitartikel – Wo Politik versagt, haben Rechtsextremisten leichtes Spiel
„Man hat die demokratischen Jugendlichen nicht beachtet“
Teil 2: Interview – Rechtsextremismus-Experte Michael Nattke über die Radikalisierung von Jugendlichen
Zwischen Krawall und Karneval
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Bereich Gegenwart im Kölner NS-Dok klärt über Rechtsextremismus auf
Die Unfähigkeit der Mitte
Teil 3: Leitartikel – Der Streit ums AfD-Verbot und die Unaufrichtigkeit des politischen Zentrums
„Die Chancen eines Verbotsverfahren sind relativ gut“
Teil 3: Interview – Rechtsextremismus-Forscher Rolf Frankenberger über ein mögliches Verbot der AfD
Antifaschismus für alle
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Bochumer Antifa-Treff