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Solidarität braucht Begegnung

25. Mai 2022

Digitalisierung vereinzelt tendenziell Beschäftigte. Das lässt sich ändern – Teil 3: Leitartikel

Wenn es heutzutage in Zeitungen oder TV-Sendung heißt: „Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt“, dann sollten bei Lesern und Zuschauern die Ideologie-Verdacht-Warnleuchten angehen. „Die Digitalisierung“ übernimmt in Zeitungsartikeln, Hochglanzbroschüren, auf Wahlplakaten aber auch zunehmend in wissenschaftlichen Studien — die es eigentlich besser wissen müssten — die Funktion eines Scheinsubjekts. Das klassische Beispiel für ein Scheinsubjekt ist das „es“ in: Es regnet.

Als Scheinsubjekt (lat. Expletivum, das Ausfüllende) simuliert „die Digitalisierung“ die Kraft einer schicksalhaften Naturgewalt, die keine Treiber (Profiteure) und keine Getriebenen (Ausgebeutete) mehr kennt, sondern nur noch Betroffene. In dieser Lage müssen „wir“ uns dann auf „Neues“ einstellen, „flexibel sein“, „uns“ den Umständen anpassen — ob wir wollen oder nicht. 

Eine solche Sichtweise ist aber, gelinde gesagt, ideologischer Bullshit! Denn die Digitalisierung ist nichts anderes als eine Modernisierung der Produktion in Konzernen und Unternehmen für mehr Profit. Und in solche Prozesse kann eingegriffen werden. Sie sind menschengemacht.

Digitaler Technik fällt in der skizzierten Umwälzung eine ambivalente Rolle zu. Zum einen wird sie, wie bei Amazon, zur sekundengenauen Taktung und umfassenden Kontrolle der Beschäftigten in den Warenlagern und Versandzentren genutzt. Doch wie bei der Akkordarbeit am Fließband in der klassischen Industrie begegnen sich die Arbeiter noch, können sich austauschen, Interessen formulieren und Arbeitskämpfe organisieren. Gleiches gilt auch für Kurierfahrer, wie beispielsweise die Rider beim Flash-Supermarkt Gorillas, die seit vergangenem Jahr immer wieder mit wilden Streiks Schlagzeilen gemacht haben. Pro forma Einzelkämpfer, die per Smartphone ihre Lieferaufträge erhalten, begegnen sie sich an den Warenlagern, wo sie in den Austausch von Erfahrungen treten können. Und das ist der ersten Schritt zur Formulierung gemeinsamer Interessen, wie Dienst-Fahrräder und -Handys, winterfeste Kleidung, unbefristete Arbeitsverträge, bessere Bezahlung. In Form von Messenger-Diensten kann digitale Technik sogar bei der Koordination von Arbeitskampfmaßnahmen nützlich sein.

Nicht „die Digitalisierung“, sondern die durch digitale Technik herbeigeführte Vereinzelung — etwas das mit der Ausweitung des Home-Office im Zuge der Corona-Pandemie auch auf ganz „normale“ Büroangestellte in vielen Branchen zukommen könnte — ist das eigentliche Problem. Besonders krass zeigt sich das bei Plattformen, wie z.B. helpling.de. Menschen, die sich dort als Putzkraft oder Haushaltshilfe verdingen, haben keine gemeinsamen Treffpunkte. Austausch und Zusammenschluss sind geradezu ausgeschlossen. Verkompliziert wird die Sache dadurch, dass sich solche Plattformen nicht als Arbeitgeber, sondern lediglich als Vermittler, als Schwarzes Brett für Dienstleister sehen. Dabei könnte durchaus kritisch hinterfragt werden, ob das der Rolle solcher Apps, mit ihrer marktregulierenden Form und der starken Abhängigkeit, in der sich die Arbeitskräfte befinden, gerecht wird. Aber der ungeklärte Arbeitnehmerstatus der Menschen macht die Anwendung des Arbeitsrechts schwierig.

Nicht „die Digitalisierung“ ist das Problem, sondern die durch digitale Technik — vor allem im sogenannten Dienstleistungsbereich — um sich greifende Vereinzelung und Vereinsamung von Menschen, die nur kollektiv etwas erreichen können. Solidarität braucht Begegnung. Und bislang sind digitale Räume für kollektive Prozesse, eher schwierig zu erobern.

 

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Bernhard Krebs

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