Ungefähr fünf Jahre ist es her, da wurde Barmen für kurze Zeit zum Fixpunkt der Finanzwelt. Damals verkaufte ein unbekannter Informant eine CD an die Steuerfahnder. Darauf gespeichert: Daten – von rund 1500 Deutschen, die vermutlich Steuern hinterzogen hatten, mithilfe von schwarzen Bankkonten in der Schweiz. Die Wuppertaler Behörde bezahlte 2,5 Millionen Euro, um der Sünder habhaft zu werden und um die Gelder quasi durchs Hintertürchen doch noch zu kassieren.
Auf einmal interessierten sich sogar die Kollegen vom Spiegel-Magazin für die Menschen in dem tristen Gebäude, Adresse: Unterdörnen 96. „Das Finanzamt Wuppertal-Barmen gilt gemeinhin nicht als Zierde deutscher Behördenarchitektur. Der graue Zweckbau aus den siebziger Jahren steht zwischen Discountern und Sanitärgeschäften an einer schmuddeligen Straße neben der derzeit stillgelegten Trasse der Wuppertaler Schwebebahn“, schrieben die Journalisten damals. Schöner ist es rund um das Gebäude seitdem nicht geworden. Aber mindestens 2012 schlugen die Fahnder aus dem Tal noch einmal zu und kauften eine weitere Schweizer Daten-CD.
Deutschland diskutierte nach 2008, als luxemburgische Informationen erkauft wurden, und 2010 erneut über die Frage, ob die Behörden die Informationen nutzen dürften, oder ob sie sich damit mit einem Verbrecher gemein machten, der Daten trotz des Bankgeheimnisses stahl. In Wuppertal machte sich ein Mann wieder an die Arbeit, der ansonsten beharrlich schwieg: Peter B., Leiter des Finanzamtes für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung. „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass die Beamten aus der Fahndungsabteilung keine Interviews geben“, sagt ein Sprecher des Finanzministeriums NRW auch heute noch, und verweist auf eine Internetseite der Behörde.
Dort finden sich Statistiken, die die Sinnhaftigkeit des Einkaufs einer Steuer-CD durchaus rechtfertigen. 13 CDs hat das Finanzministerium NRW nach eigenen Angaben aufgekauft – für 13 Millionen Euro. Der Kaufpreis teilt sich zur Hälfte auf Bund und die Bundesländer auf. Vergleicht man die Summe mit den Einnahmen, wird deutlich, warum sich der Kauf lohnt. Laut dem Finanzministerium sind durch nachfolgende Selbstanzeigen und Bußgelder geschätzt mehr als 1,5 Milliarden Euro eingezogen worden. 7,1 Millionen Euro kommen aus Geldstrafen nach Verurteilungen, rund 500 Millionen Euro aus Verbandsgeldsbußen, 87 Millionen Euro aus der Auswertung der CDs. Die Einnahmen aus den Selbstanzeigen sollen rund 946 Millionen Euro betragen.
1,5 Milliarden Euro – das ist eine gewaltige Summe. Würde sie nur für einen bestimmten Zweck eingesetzt, man könnte eine Menge damit anfangen. Exakt so hoch ist die aktuelle Kreditverschuldung der klammen Stadt Wuppertal. Oberbürgermeister Peter Jung könnte von jetzt auf gleich nahezu die Schuldenfreiheit verkünden, 500 Millionen Euro fehlten noch. Man könnte damit aber auch den kompletten Haushaltsetat 2014/2015 für den Bereich Soziales auf drei Jahre hinaus sichern.
Die Ungerechtigkeit der Steuerhinterziehung bleibt der Knackpunkt. Werden Einnahmen verschwiegen, entgehen der Gesellschaft dringend benötigte Steuergelder. Das scheint langsam auch dem letzten klar zu werden, der unter schwarzen Konten ein Kavaliersdelikt verstand. Die Fälle eines gewissen Ulrich Hoeneß, einer Alice Schwarzer oder eines Klaus Zumwinkel haben aufhorchen lassen. Auch international ist es seit dem G20-Gipfel im australischen Brisbane zumindest nach außen hin Konsens, dass Unternehmen in Zukunft ihre Steuern dort zahlen müssen, wo sie ihr Geld verdienen.
Gäbe es eine konsequente Lösung, sollte jede Filiale eines Konzerns seine kompletten Einnahmen und Ausgaben dort offenlegen, wo die Filiale steht. Das wäre mit Sicherheit nicht nur bei einem aktuellen Beispiel interessant: Primark, irischer Billigtextiler, greift bereits mit beiden Händen nach dem Standort Döppersberg. Ein Investor plant, den Händler auf den neuen Bahnhofsvorplatz zu holen. Die Verträge sind noch nicht unterschrieben. Aber wenn sie kommen, ob die Iren dann zuhause oder in Elberfeld ihre Steuern zahlen müssen – wir werden sehen.
Wolfgang Huber, ehemaliger Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hat es 2013 in einem Interview mit der Zeit auf den Punkt gebracht: „Man kann nicht die Infrastruktur, den Wohlstand, die Bildungsqualität, die innere Sicherheit eines Landes in Anspruch nehmen und sich gleichzeitig der Pflicht entziehen, durch die eigenen Steuern das Seine beizutragen“, sagte Huber. Und weiter: „Die wachsende Kluft zwischen Reichtum und Armut ist erschreckend. [...] Wer viel Steuern zahlen muss, soll sich freuen, denn es beweist, dass er viel Geld verdient.“
Aktiv im Thema
www.kinderarmut-in-deutschland.de/
www.armut.de/
www.kinderarmut-hat-folgen.de/index.php
www.dksb.de/content/start.aspx
Lesen Sie weitere Artikel zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Diese Abkommen sind undemokratisch, unsozial, unökologisch“
Alexis Passadakis von Attac über TTIP, CETA und das Klimacamp bei Köln – Spezial 08/16
Kampf der Interessen
Die EU, der zahnlose Steuertiger? – THEMA 01/16 GERECHT STEUERN
„Statt Ehen sollte man Kinder fördern“
Lisa Paus über die Vorteile gerechterer Steuern – Thema 01/16 Gerecht Steuern
Die Null muss stehen
Mit höheren Steuern finanziert Wuppertal den ausgeglichenen Haushalt 2017 – Thema 01/16 Gerecht Steuern
Ein Ansatz von Steuergerechtigkeit
In Schweden haben hohe Steuern und ein starker Sozialstaat Tradition – Thema 01/16 Gerecht Steuern
Markt und Mensch sind träge
Kann eine Gesellschaft funktionieren, wenn ihr oberstes Ziel das Gemeinwohl ist? – THEMA 11/15 GEMEINWOHL
Radikale Veränderung des Finanzsystems
Christof Lützel, Bankbetriebswirt und Pressesprecher der GLS Bank, über Gemeinwohl als Gesellschaftskonzept – Thema 11/15 Gemeinwohl
Handeln – aber nicht um jeden Preis
GEPA sorgt für faire Bezahlung – Thema 11/15 Gemeinwohl
Scheine mit Mehrwert
Das Bristol Pound stärkt lokale Wirtschaftskreisläufe – Thema 11/15 Gemeinwohl
„Kein Verständnis für betrügende Volkshelden“
Der EU-Abgeordnete Sven Giegold über gerechtere Steuern – Thema 01/15 Arm & Reich
„Unternehmen profitieren und sollen dafür zahlen“
Markus Henn vom Netzwerk Steuergerechtigkeit über die Systemfrage – Thema 01/15 Arm & Reich
Ende für den doppelten Iren
Ein langjähriges Steuerschlupfloch ist geschlossen – Thema 01/15 Arm & Reich
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 1: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Demokratischer Bettvorleger
Teil 2: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Europäische Verheißung
Teil 3: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Stimmen des Untergangs
Teil 1: Leitartikel – Allen internationalen Vereinbarungen zum Trotz: Unsere Lebensweise vernichtet Lebensgrundlagen
Friede den Ozeanen
Teil 2: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 3: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf
Maßgeschneiderte Hilfe
Teil 1: Leitartikel – Gegen häusliche Gewalt braucht es mehr als politische Programme
Zu Staatsfeinden erklärt
Teil 2: Leitartikel – Der Streit über Jugendgewalt ist rassistisch aufgeladen
Der andere Grusel
Teil 3: Leitartikel – Von der rätselhaften Faszination an True Crime
Sehr alte Freunde
Teil 1: Leitartikel – Warum der Hund zum Menschen gehört
Die Masse macht’s nicht mehr
Teil 2: Leitartikel – Tierhaltung zwischen Interessen und Idealen
Wildern oder auswildern
Teil 3: Leitartikel – Der Mensch und das Wildtier
Pippis Leserinnen
Teil 1: Leitartikel – Zum Gerangel um moderne Lebensgemeinschaften