engels: Jacinta, Du schreibst über weißen und intersektionalen Feminismus.
Jacinta Nandi: Intersektionaler Feminismus ist ein schwieriges Wort, weil es intellektuell und akademisch klingt. Viele Leute sind überfordert und fühlen sich ausgegrenzt, daher gibt es einen Widerstand gegen diesen Begriff. Ich möchte eine intersektionale Feministin sein, aber ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Intersektionaler Feminismus ist sich bewusst, dass es verschiedene Privilegien gibt. Wer schwarz und eine Frau ist, wird anders diskriminiert, als jemand, der weiß und eine Frau ist. Es gibt eine Intersektion von Diskriminierungen. Weißer Feminismus ist ein abwertender Begriff für altmodischen Feminismus, der sich keine Gedanken über Intersektion macht. In Großbritannien gab es die Kampagne, eine Frau auf den 10-Pfund-Schein zu bekommen, es wurde Jane Austen. Es gab Kritik an dieser Kampagne, aber ich habe sie unterstützt. Weil Feminismus weiß ist, heißt das nicht automatisch, dass er gar nichts wert ist. Die Gefahr ist, dass sich weiße Feministinnen nur mit weißen Frauen beschäftigen und nicht mit der Realität der anderen Frauen. Ich glaube, die Begriffe weißer Feminismus und auch weiße Frau werden manchmal als Ausrede benutzt, um Feminismus und Frauen abzuwerten.
Ist „schwarzer“ Feminismus immer intersektional?
Flavia Dzodans, eine schwarze Feministin aus den Niederlanden, hat gesagt: „My feminism will be intersecional or it will be bullshit“. Jeder sollte versuchen, intersektional zu denken. Es ist jedoch für Menschen schwer, eigene Privilegien anzuschauen. Ich bin nicht-weiß, Ausländerin und eine Frau. Wird man konfrontiert mit den eigenen Privilegien, fühlt es sich wie ein Angriff an. Es gibt eine natürliche Abwehrreaktion. Es triggert die Menschen: Kann es sein, dass ein weißer ObdachloserPrivilegien hat, die Oprah Winfrey als schwarze Frau und Millionärin nicht hat? Aber es ist kein Elends-Wettbewerb.
Wie merke ich, ob ich zu wenig intersektional denke?
Das Ziel kann nicht sein, perfekt zu sein. Wir sind Menschen, keine Roboter – wir sind alle rassistisch. Es gibt diesen Online-Test zu unbewussten Assoziationen, der zeigt, dass auch schwarze Menschen negative Assoziationen bei bestimmten Wörtern haben. Wichtiger ist, zu sich selbst ehrlich zu sein. Dein rassistischer Freund ist vielleicht schwul, dein islamophober Freund vielleicht Hindu. Menschen sind schwierig.
Und in welcher Hinsicht bist Du privilegiert?
Ich bin nicht-behindert, das ist ein großes Privileg. Ich bin eine englischsprechende Ausländerin, das ist auch ein großes Privileg. Ich kann in die Schaubühne gehen und die Obertitel sind auf Englisch. Ich werde nicht wie eine Ausländerin behandelt, sondern als wäre ich besser als die Deutschen. Ich glaube, das ist ein Berlin-Ding. Niemand greift dich an, weil du auf dem Spielplatz englisch mit deinem Kind sprichst. Mein Sohn soll in der Schule nicht türkisch oder arabisch sprechen. Solche Verbote gibt es für Englisch nicht. Ich weiß nicht, wie es ist, ein Mann oder eine weiße Frau zu sein. Vieles, was weiße Frauen, die nie im Ausland gelebt haben, sexistisch finden, habe ich nie als sexistisch empfunden. Ich habe immer gedacht, die reden so mit mir weil ich eine Ausländerin bin. Ich habe vielleicht so manchen Sexismus verpasst (lacht). Wenn ein Mann sagt, Frauen können nicht schreiben, glaube ich, er unterschätzt mich, weil ich eine Ausländerin bin, die in deutscher Sprache schreibt.
Du bist in England aufgewachsen. Ist der Feminismus dort anders als hier?
Ich bin in Nordost-London, aufgewachsen und mit 20 Jahren nach Deutschland gekommen. Feminismus war in England viel cooler. Als ich in Deutschland ankam, habe ich viele Frauen kennengelernt, die von sich sagten, sie seien keine Feministinnen. In England sagen alle, sie seien feministisch. Ich finde beispielsweise den Film Dirty Dancing feministisch. In Deutschland ist Feminismus gerade in Mode. Ich finde das nicht schlimm. Es gibt schlimmere Hobbys.
Wie muss ein Feminismus aussehen, der für die Rechte aller Frauen oder aller Menschen kämpft?
Ich bin nicht der Meinung, dass Frauen dasselbe erreichen müssen, wie Männer. Väter aber sollten weniger arbeiten dürfen. Es muss nicht sein, dass Frauen genauso viel verdienen wie Männer. Wir wollen befreit sein. Es soll leichter sein, Kind und Karriere und keinen Mann zu haben. Wir reden oft über Abtreibung. Ich glaube, in einer Welt, in der Frauen befreit sind, müssten viele Abtreibungen nicht stattfinden.
Neuer Feminismus - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
Aktiv im Thema
pinkstinks.de | Die Protestorganisation bricht mit Wortwitz und Kampfgeist Rollenklischees auf.
feministinprogress.de | Der Sozialpädagoge Sebastian Tippe beschäftigt sich mit toxischer Männlichkeit, Sexismus in den Medien und der Vater- und Männerrolle im Feminismus.
lila-podcast.de | Die Moderatorinnen diskutieren mit Gästen unterschiedliche Themen aus feministischer Perspektive.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Geschlechterwandel
Intro – Neuer Feminismus
Kraft für Geschlechterminderheiten
Das Yaya-Netzwerk aus Wuppertal
Frauen gegen Männer?
Zwischen Feminismus und Antifeminismus – Glosse
Geschlechter-Gerechtigkeit in der Lohnabrechnung
Der isländische „Equal Pay Act“ – Europa-Vorbild: Island
Feminismus für alle
Warum eine intersektionale Perspektive nötig ist
„Man kann Nullkosten entstehen lassen“
Permakultur-Gärtnerin Hannelore Zech über das Konzept der Selbstversorgung – Teil 1: Interview
„Die Betonindustrie verändert sich“
Felix Jansen (DGNB) über Hindernisse auf dem Weg zu nachhaltigem Bauen – Teil 2: Interview
„Einfamilienhäuser müssen wir ablehnen“
Landschaftsarchitektin Simone Linke über Städte im Klimawandel – Teil 3: Interview
„Die Crux liegt in der Lohnstruktur“
Ökonomin Friederike Spiecker über Ursachen und Bekämpfung von Armut – Teil 1: Interview
„Um den Armen zu geben, braucht man nicht das Geld der Reichen“
Ökonom Maurice Höfgen über Staatsfinanzierung und Wohlstand – Teil 2: Interview
„Eindeutig ein Defizit bei der Demokratiebildung“
GEW-Vorsitzende Maike Finnern über gerechte Schulbildung – Teil 2: Interview
„Berichterstattung beeinflusst politische Entscheidungen“
Journalismusprofessor Kim Otto über den Wandel im Wirtschaftsjournalismus – Teil 3: Interview
„Die Situation Russlands wird sehr genau beobachtet“
Politologe Stephan Klingebiel über die Wirkung von Wirtschaftssanktionen – Teil 1: Interview
„Höflich in der Form, hart in der Sache“
Jurist Matthias Hartwig über Wandel in der Diplomatie – Teil 2: Interview
„Das erscheint dramatischer, als es wirklich sein dürfte“
Politologe Herfried Münkler über eine neue Epoche internationaler Friedensordnung – Teil 3: Interview
„Dem Umweltministerium ein Vetorecht geben“
Meeresbiologe und Greenpeace-Aktivist Thilo Maack über Umweltschutzorganisationen – Teil 1: Interview
„Wir leisten uns falsche Repräsentanten“
Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht über mangelhaften Naturschutz – Teil 2: Interview
„Die wohl größte Krise, vor der wir stehen“
Ökologe Klement Tockner über die Bedeutung der Artenvielfalt – Teil 3: Interview
„Bei uns leben Kinder in einer Scheinwelt“
Entwicklungspsychologin Heidi Keller über Erziehung – Teil 1: Interview
„Fest und Protest sind sich sehr nah“
Kulturanthropologin Regina Bendix über die Bedeutung öffentlichen Feierns – Teil 2: Interview
„Mode ist unser mobiler Schutzraum“
Designerin Bisrat Negassi über Mode als Kultur und Geschäft – Teil 3: Interview
„Mit Waffengewalt von ihren Ländereien vertrieben“
Landwirtschaftsexperte Markus Wolter über industrielle Landwirtschaft im globalen Süden – Teil 1: Interview
,,Aromastoffe sind das absolute Alarmzeichen’’
Lebensmittelexperte Hans-Ulrich Grimm über industriell erzeugte Nahrung – Teil 2: Interview
„Wir haben von unten nach oben umverteilt“
Nachhaltigkeitsforscherin Martina Schäfer über Landwirtschaft und Ernährung – Teil 3: Interview