Oskar Roehler bringt das Leben und Arbeiten Rainer Werner Fassbinders in 134 Minuten als überdrehtes, melodramatisches Stück zurück ins Kino. Oliver Masucci wütet neben Katja Riemann, Alexander Scheer, Eva Mattes, André Hennicke und vielen mehr als Fassbinders-Künstlerego, aber zeigt auch den präzisen Denker, Intellektuellen und Künstler. Da ist viel Platz für das menschliche Arschloch, das auch in diesem Genie steckte. Aber auch viel Raum für seine sensible, zarte Seite, die man nicht zuletzt an den meisten seiner Filme ablesen kann. Roehlers kongeniale Annäherung an das „Enfant Terrible“ der deutschen Filmkunst lebt alle Widersprüche voll aus. Es beginnt gleich in den ersten Szenen, wenn er sich als Macher in München am Theater positioniert und den harten Kerl raushängen lässt. Gedemütigt hat der bisexuelle Künstler Männer wie Frauen, Mitarbeiter wie Freunde und männliche wie weibliche Geliebte. Arbeit und Privates lag bei ihm sowieso direkt beieinander. Am Anfang hat man sogar noch zusammen gewohnt, doch auch später konnte sich Fassbinder auf ein sehr stabiles Kernteam verlassen, zu dem Irm Hermann, Margit Carstensen, Hanna Schygulla, Peer Raben, Harry Baer, Kurt Raab, Ulli Lommel, Michael Ballhaus und viele mehr zählten. Roehler fängt diesen sogenannten Fassbinder-„Clan“ in betont steifen Szenarien und gekünstelt ausgeleuchteten Szenen ein, die sowohl an Fassbinders Vorliebe für das Melodram aus Hollywood erinnern als auch an seine eigene, im Sinne von Camp (John Waters ist da auch nicht weit...) überzogene Version davon. Man merkt, dass Roehler und Masucci großen Spaß haben, Fassbinder als sozial fragile Dramaqueen zu zeichnen, die zugleich sich und sein Umfeld - und auch das zwischen abgedroschenem Heimatfilm und Aufklärungsfilm gefangene BRD-Kino und -Fernsehen der 1970er - permanent an die (zwischenmenschlichen) Grenzen bringt. Ein Hoch auf Fassbinder!
Die 17-jährige Autumn ist in „Niemals Selten Manchmal Immer“ ungewollt schwanger. Dass sie das Kind abtreiben muss, ist für sie klar. Nur darf das niemand wissen – weder in der Schule, noch zuhause. Gemeinsam mit ihrer Cousine geht sie fast wortlos einen Pakt ein: Mit geklautem Geld machen sie sich auf die Reise nach New York, wo der Eingriff auch jetzt noch erlaubt ist. Ohne zu wissen, was sie erwartet, verlieren sie sich in der Metropole. Regisseurin Eliza Hittman jedoch verliert die von den Laiendarstellerinnen Sidney Flanigan und Talia Ryder in ihrer Mischung aus starkem Willen und Ahnungslosigkeit präzise verkörperten Mädchen mit ihrer 16mm-Kamera nie aus dem Fokus, spürt jedem Blick und jeder Geste nach. Auch denen der durchweg unangenehmen Männer, die die Solidarität zwischen den Mädchen verstärken.
Außerdem neu in den Kinos in Wuppertal, Solingen und Remscheid: Sofia Coppolas Tragikomödie „On the Rocks“, Philippa Lowthorpes Frauenrechts-Drama „Die Misswahl - Der Beginn einer Revolution“, André Erkaus Tragikomödie „Gott, du kannst ein Arsch sein“ und Dennis Gansels neuerliche Michael-Ende-Verfilmung „Jim Knopf und die wilde 13“.
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