Und es begab sich zu der Zeit, dass der letzte aller Kriege geschlagen werden sollte, dass sich Künstler, die es besser hätten wissen müssen, für ein Vaterland opferten, das nie ihres sein wollte. Zu der Zeit, als Bücher verbrannt wurden, Schaufensterscheiben brachen und Kunst als entartet galt, dass sich selbst dort noch verfolgte Künstler scheinbar geistig heimisch fühlten. In diesem vergangenen Jahrhundert voller Blut und atomarer Sprengkraft gab es ganz zu Beginn die beiden Künstlergruppen „Brücke“ und „Blaue Reiter“, die den Expressionismus nach Deutschland brachten und auch ein Zündfunke waren für die Anfänge der Klassischen Moderne. Obwohl, eine echte Künstlergruppe war der Blaue Reiter (nach Wassily Kandinskys gleichnamigem Bild von 1903) ja nicht, eher eine lockere Initiative zum artifiziellen Buchdruck über Kunst und Kultur, dazu gehörten deshalb auch Komponisten und Kunst-Theoretiker.
Ein Vierteljahrhundert waren die frühen Marketing-Verbindungen in Deutschland nicht mehr gemeinsam gezeigt worden; jetzt haben drei Museen gewichtige Teile ihrer Sammlungen zusammengelegt und die Ausstellung „Brücke und Blauer Reiter“ konzipiert. Etwa die Hälfte der Arbeiten stammen aus dem eigenen Bestand des Wuppertaler Von der Heydt-Museums, ergänzt um Leihgaben der Kunstsammlung Chemnitz und des Buchheim Museums Bernried am Starnberger See, vereinzelt beteiligten sich auch internationale Leihgeber. Trotz Corona und 2G-Regeln wird die beträchtliche Menge von rund 160 Exponaten Menschenmengen in die Schwebebahnstadt ziehen, und das zurecht. Schnell hat in der Entwicklung vieles den Ölschinken-Duktus verloren, lösen sich die Details in Flächen auf, hinterfragen die Künstler die faktische Welt – siehe Franz Marc, dessen gelbe Kuh die objektive Wahrnehmung von Natur in Frage stellt. Hier und da finden sich bereits Anflüge des aufkommenden Kubismus, das laszive Großstadtleben bekommt eine wachsend neue Bedeutung.
Schwierig wird es mit dem Frauenbild zur expressiven Hochzeit, nicht nur in den Gruppen, auch in der Außenwahrnehmung. Junge Modelle waren in den Ateliers gefragt und brauchten das Geld, aber die Aktbilder gerierten zum Skandal und brachten Aufmerksamkeit. Aktzeichnungen sollen sogar bespuckt worden sein, sagt Museumschef Roland Mönig, der dem Expressiven auch heute noch eine Aktualität zuschreibt, angesichts der unruhigen Zeit zwischen Wandel und Umbruch. Vertreten sind 28 Künstler und drei Künstlerinnen – das war der echte Aufbruch in die patriarchale Moderne, doch Marianne von Werefkin, Gabriele Münter und Else Lasker-Schüler liefen faktisch unter der Oberfläche, Leuchtfeuer des neuen Denkens waren sie zu Unrecht damals in der Öffentlichkeit nicht, und doch befreiten auch sie Farbe und Form, auch sie arbeiteten sich an den Spannungen der Zeit ab.
Die Ausstellung ist didaktisch geschickt gegliedert, setzt immer wieder neue Reize und achtet auf Kontraste. Wie zum Beispiel zwischen Gabriele Münters modernem „Stillleben mit Madonna und Teekanne“ (1912/13) und Emil Noldes ungewöhnlicher „Brücke“ (1910). Ja, der Nolde, aus dem ein oller Nazi wurde, aber das ist eine andere Geschichte.
Brücke und Blauer Reiter | bis 27.2. | Von der Heydt-Museum, Wuppertal | 0202 563 62 31
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