Warum macht man heutzutage eine Ausstellung mit Werken von Man Ray? Gehören seine Arbeiten nicht zu den meist gezeigten Ikonen der Modernen Kunst? Gute Gründe fand das Max Ernst Museum in Brühl, um uns im Zeitalter der digitalen Bildbearbeitung jenen Surrealisten reinsten Wassers zu präsentieren, der von sich sagte: „Ich bin kein Fotograf der Natur, sondern meiner Phantasie“.
Man Ray zählte zu den engsten Freunden von Max Ernst. Das Museum hat da eine Lücke zu schließen, denn der Amerikaner, Jahrgang 1890, fotografierte seinen Freund aus dem Rheinland nur zu gerne in gestrenger Pose. Die beiden arbeiteten zusammen und das Museum zeigt eine interessante Bildserie die gemeinsam entworfen und hergestellt wurde. Letztlich organisierten die Männer auch eine Doppelhochzeit, bei der Max Ernst seine Dorothea Tanning und Man Ray Juliet Browner ehelichte. Pikanterweise wurden die beiden Frauen schon auf dem Hochzeitsfoto lachend getauscht.
Vor allem die Frauen lachen. - Die Ausstellung demonstriert überhaupt sehr anschaulich, dass in kaum einer Epoche der Modernen Kunst die Frauen eine so zentrale Rolle spielten wie im Surrealismus, auf dessen zwei Jahrzehnte der 20er und 30er Jahre in Paris das Werk Man Rays hier konzentriert ist. Diese Frauen waren sich ihrer Wirkung bewusst, ob mit oder ohne Kleider. Jacqueline Breton, Lee Miller, Nusch Éluard oder Meret Oppenheim – die sich als 20Jährige nackt hinter einer Druckmaschine ablichten ließ – sie alle sind ihren eigenen Weg als Künstlerinnen gegangen. Man Ray fotografierte sie respektvoll und lustvoll zugleich.
Die Ausstellung zeigt, wie ein Künstler findungsreich um seinen Ausdruck ringt. Man bekommt seltene Werke aus den USA und Frankreich präsentiert, die Man Rays Auftragsarbeiten dokumentieren. Radikal bricht er dabei mit den mythisch verblasenen Werbekonventionen der damaligen Zeit, in denen die Elektrizität zum Geschenk antiker Göttinnen an die bedürftige Menschheit stilisiert wurde. Die durch Zufälle und clevere Experimente entstandenen Methoden der Rayogramme oder der Solarisation zeigen die nervöse Suche nach neuen stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten. Über 150 Arbeiten sind zu sehen, darunter viele Akte. Hier wird besonders deutlich, wie Man Ray an den Ketten des Realismus zerrt, die der Fotografie naturgemäß auferlegt sind. Er verschiebt die Konturen und gibt der Haut eine Weichheit, die sie in eine taktile Reflexionsfläche verwandelt. Er lässt zu, dass das Unbewusste sein Spiel mit der Realität treiben kann, ganz ohne dass die Herrschaft der Symbole bemüht werden müsste. Diese Lust an der Veränderung der festgefügten Materie oder der starren Vorstellungen in unseren Köpfen steckt an. Eine fröhliche, ironische Attitüde durchzieht diese Ausstellung. Zurück bleibt die prickelnde Gewissheit, einen der großen Künstler der Moderne aus einer neuen, ungezwungenen Perspektive kennengelernt zu haben.
„Man Ray – Fotograf im Paris der Surrealisten“ | Ausstellung bis 8.12.2013 | Max Ernst Museum Brühl des LVR | Geöffnet Di-So 11-18 Uhr.
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