Papandreou, Berlusconi, Overath – wer ist der Nächste in der Generation Rücktritt? Beckenbauer? Abgesehen davon, dass Multifunktionär Beckenbauer beim FC Bayern inzwischen nur noch Ehrenpräsident ist: Die Lizenz, auch mal den größten Unsinn erzählen zu dürfen, ohne dass dies irgendwelche Folgen nach sich ziehen würde, hat nun einmal nur der „Kaiser“ – nicht aber der ehemalige Karnevalsprinz von Siegburg.
Noch bis einen Tag vor der Jahreshauptversammlung (JHV) des 1.FC Köln hatte Wolfgang Overath in mehreren Zeitungsinterviews kundgetan, dass 2013 Schluss sein solle mit seiner FC-Präsidentschaft. Dann verkündete er auf der JHV völlig unvermittelt den sofortigen Rückzug. Das passt zur kölschen Neigung für den dramatischen Auftritt. Doch haftet der Art und Weise, in der Overath seinen Abgang inszenierte, etwas unübersehbar Beleidigtes und Primadonnenhaftes an. Mitverantwortlich für den Rücktritt sei die „destruktive“ Kritik eines Teils der Vereinsmitglieder, insbesondere der Oppositionsgruppe FC:Reloaded, deren Sprecher seine Haare zu einem Zopf gebunden trägt und den Overath laut Zeitungsberichten auf der JHV als „Der Herr mit den Haaren da“ bezeichnet haben soll.
Es sind nicht nur manchmal, sondern fast immer Kleinigkeiten, die den wahren Charakter verraten. Ungeachtet der sachlichen Differenzen zwischen FC:Reloaded und der inzwischen ehemaligen Vereinsführung hat es etwas unsäglich Spießiges, längst überwunden geglaubtes 50er-Jahre-Mäßiges, jemanden aufgrund seiner langen Haare zu schmähen – und ihm damit indirekt Qualifikation und Satisfaktionsfähigkeit abzusprechen. Und das im ach so toleranten Köln, wo doch angeblich gilt: Jeder Jeck ist anders.
Dieses kölsche Gebot schienen im Übrigen auch einige Mitglieder auf der JHV vergessen zu haben. Es kam zeitweilig zu Tumulten und Handgreiflichkeiten. Wenigstens wurde niemand auf offener Bühne ausgeknockt, wie Weiland in den Skandalzeiten von Eintracht Frankfurt, als ein am Rednerpult stehendes Vereinsmitglied einen Ordner, der ihn wegen Überschreitung der Redezeit mit einem „Geh’ runner!“ des Podiums verweisen wollte, kurzerhand zu Boden streckte. (Überflüssig zu erwähnen, dass dieser Vorfall inzwischen auch bei Youtube verewigt ist.) Szenen wie diese steigern zwar für Außenstehende den Unterhaltungswert von üblicherweise eher drögen Veranstaltungen wie Mitgliederversammlungen, sind aber für den ausrichtenden Verein nur mega-peinlich.
Bleibt in Sachen Präsidentschaft noch festzuhalten: Wie in der Vergangenheit schon die Beispiele von Bernd Hölzenbein in Frankfurt und insbesondere Uwe Seeler in Hamburg gezeigt haben, ist es kein Patentrezept, eine ehemalige Fußballgröße als Galionsfigur in ein Spitzen- bzw. Präsidentenamt zu hieven. Mit den erheblich gestiegenen Anforderungen des heutigen Fußballgeschäfts sind die meisten Spieler aus dieser Generation ganz einfach überfordert. Seeler sah es rechtzeitig ein und ging, bevor sein Status als HSV-Volksheld dauerhaften Schaden hätte nehmen können.
Nichtsdestoweniger wäre es dem 1.FC Köln durchaus zuzutrauen, in der derzeitigen Verunsicherung einfach von einer „kölschen Ikone“ zur nächsten zu wechseln. Es hat da angeblich schon eine ihren Finger gehoben. Bloß nicht! Köln und der FC sollten damit aufhören, in einer Art rheinischen Variante des bayerischen „Mia san mia“ immer weiter im eigenen Saft zu schmoren. Hat man doch scheint’s mit Volker Finke und Ståle Solbakken gerade zur richtigen Zeit die richtigen Imis geholt – was zweifellos zu den Verdiensten des zurückgetretenen Vorstands um Wolfgang Overath gehört.
Also bitte keine Rückfälle in alte Zeiten mehr. Und auch nicht bei Lothar Matthäus anfragen. Der wird sich ohnehin von selbst melden.
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