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Russland oder Amerika? Who knows? Die zu junge Mutter mit zwei von ihren vier Kindern
Foto: Christoph Sebastian

Einmal New York und nicht zurück

26. November 2015

Patrick Schlösser inszeniert einen Schnelldurchgang-„Hiob“ im Theater am Engelsgarten – Auftritt 12/15

Seien wir mal ehrlich, so ganz zeitgemäß sind die Geschichten, die uns Bibel erzählt, nicht mehr. Wo gibt es denn noch Armut oder Krieg, die Menschen aus ihrer Heimat flüchten lassen? Oder Kreuzzüge für den richtigen oder wahren Gott? Oder war das mal ein Streit um Heino oder des Kaiser Karls Bart oder war das Barbarossa? Irgendwie scheint sich momentan alles gegen uns verschworen. Gegen uns, das edle Volk der toleranten deutschen Samariter. Kein Grund also „Hiob“, nach einem Roman des Österreichers Joseph Roth (1894-1939), in die Abitursystematik und damit zwangsläufig auf den Bühnen zu haben. Oder doch? Sollten die Fragen nach dem Wert von Werten oder dem Glauben an Glauben aktuell sein? Mendel Singer, der tragische Held im Rothschen Roman eines einfachen Mannes, muss sich das zumindest als armer Toralehrer in Russland fragen. Fragen will sich das auch Patrick Schlösser im kleinen Wuppertaler Theater am Engelsgarten, wo er mit „Hiob“ jetzt eine umjubelte Premiere feierte.

Dabei kommt Schlösser mit einem stilisierten Baum, einem offenen Durchgang und einer weißen Wand, die von zwei Seilen vorm Umkippen bewahrt wird, aus. Und etwas geschickter Videotechnik, die manchmal via Mapping die Schatten verändert und für Vögel, Wolkenkratzer und US-amerikanische Fahne sorgt. So richtig rocken kann das originelle Stilmittel nicht, der Einfachheit der Inszenierung hilft sie auch nicht, von Choreografie kann auch keine echte Rede sein bei nur einem Loch in der Rückwand. Einen Bühnenbild-Ortswechsel oder die eigentliche Überfahrt von Mendel Singer (Miko Greza) nach US-Amerika schenkt sich Schlösser auch, der den Hiob lieber in hastigen einhundert Minuten über die Bühne hetzen will. Kein Kosakenlied, aber eine interessante, manische, fast durchlaufende Hintergrundmusik begleitet die Handlung. Gerade noch den epileptischen Bruder gequält, und schon folgen die Techtelmechtel mit den Kosaken, Mirjam (Philippine Pachl) im Kornfeld, Jonas (Thomas Braus) erst einmal im Stall. Weiter weiter: Deborah beim Arzt, Deborah beim Rabbi, da steht sie auch schon beim Schlepper. Für das amouröse Angebot, um ihre beiden Söhne zu retten, hat die Regie keine Zeit, Jonas steht schon da in Uniform und bei Gott, er wird Lesen und Schreiben lernen. Da taucht auch schon Mac auf, mit 100 Dollar und Grüßen von Schermarjah (Alexander Peiler), der sich jetzt Sam nennt. Der arme Pflegefall Menuchim (Uwe Dreysel) muss bleiben, der Rest macht sich auf die lange Überfahrt. Hier baut Schlösser den (eigentlich überflüssigen) Tausch von Singers Haus gegen Menuchims Pflege ein und ein (eigentlich auch überflüssiger) Kosak bedauert Mirjams Abreise.

Manches bleibt dennoch dabei unverständlich, dramaturgisch Notwendiges wird zum Überfluss, die sie umgebende Welt allerdings bleibt gleich für die handelnden Personen, die zwar Kontinente wechseln, aber deren familiärer Mittelpunkt immer noch die falschen Sachen auswendig kann, von seiner eklatanten erbärmlichen Frauenfeindlichkeit ganz zu schweigen, macht ja nix, Gott schickt ihm immer ein Wunder am Ende. Schade eigentlich, denn das kommt für einige positive Charaktere leider zu spät.

Julia Reznik ist im Theater am Engelsgarten als Mutter (eher unangenehm) jung für diese Rolle. Schon Sophie Basse (einige Wuppertaler werden noch sich erinnern...) in der Bonner Hiob-Spinnennetz-Inszenierung von Sandra Strunz war hart an der Grenze, aber im Bergischen wird das mit den hängenden Falten und unfruchtbarem Schoss echt unglaubwürdig und ist sicher auch eine Folge des jetzt eher spärlichen Ensembles. Stefan Walz fegt gleich durch acht Rollen, o.k., nicht alle sind abendfüllend, aber dennoch. Mac ist ja nicht ganz unwichtig für die Dramaturgie des Untergangs. Alle Schauspieler werden über die Bühne und durch die Handlung gescheucht, manchmal sind sie auch stumme Zuschauer, manchmal auch nur erklärende Akteure. Alles verdichtet sich auf das Finale im 32. Stock vor einer blinkenden Coca-Cola-Reklame. Menuchim, geheilt, jetzt reich und mit Frau und Kindern rettet dem Vater seinen Glauben, der jetzt wieder die Welt begrüßen möchte. Ja schönen Dank auch, Efeu ist nicht gut für Baum und Gebäude. Ob man mit dieser eher unspektakulären Inszenierung die Oberstufenschüler­ und -innen von den lautlos gestellten Smartphones weghalten kann, wage ich allerdings zu bezweifeln.

„Hiob“ | R: Patrick Schlösser | Sa 13.2. 19.30 Uhr, So 14.2. 16 Uhr | Theater am Engelsgarten | 0202 563 76 66 | www.wuppertaler-buehnen.de

Peter Ortmann

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