Der Zufall des Norbert Thomas wird überbewertet. Und, müssen unbedingt so viele Werke in den fünf Räumen der Von der Heydt-Kunsthalle ausgestellt sein? Im Haus der Jugend in Barmen ist derzeit ein Überblick über die konstruktiven Arbeiten des 1947 geborenen Essener Künstlers zu sehen, der (in der Nachfolge einer sehr berühmten Künstlerin) seit 1991 als Professor für die „Grundlagen der künstlerischen Gestaltung“ an der Bergischen Universität gelehrt hat. Gezeigt werden Thomas‘ Werke von den 1970er Jahren bis 2016: Aus der Frühzeit die Federzeichnungen, welche als Sequenzen den Einbezugs des Zufalls veranschaulichen, dann die Gemälde, von denen etliche über mehrere separierte Tafeln verlaufen, welche im nächsten Schritt zueinander verschoben sind, und dann einzelne Reliefs und Plastiken.
Norbert Thomas gehört zu den Generalisten der Konkreten Kunst, der gegenstandsfreien, auf dem rechten Winkel basierenden Kunstströmung, die seit dem frühen 20. Jahrhundert zunächst als radikale Avantgarde galt und über den russischen Konstruktivismus, das holländische De Stjl, das deutsche Bauhaus und später die Zürcher Konkreten zu einer fast populären Alternative zur gegenständlichen und zur abstrakten Kunst geworden ist. Norbert Thomas gehört nun also zu den Generalisten, weil er im Laufe der Jahrzehnte ein immens breites und nach wie vor angenehm überraschendes Spektrum entwickelt hat. Hin und wieder fühlt man sich stark an seine Vorgänger erinnert (welche ähnliche Aspekte eben davor abgehandelt haben), einzigartig aber ist die Weite seiner Arbeiten und wie diese noch interagieren: Dass s/w-Arbeiten ebenso wie Bilder mit starkfarbigen Flächen entstehen. Dass zwar der flache homogene Farbauftrag kennzeichnend für seine Malerei ist, aber einzelne Felder auch pastos, mit expressivem Gestus und gestaucht aufgetragen sind. Und dass neben dem rechten Winkel mehr noch Diagonalen und Schrägen die Organisation der Bildelemente und ihre Temperierung bestimmen. Überhaupt ist das ein wichtiges Kennzeichen, welches in der Ausstellung kongenial herausgearbeitet wird: Die Bildachsen kippen als lineare Geraden oder netzartige Verspannungen im Bildfeld geradezu in den Raum hinaus. Dazu ist hilfreich, dass in der Kunsthalle die große Edelstahlplastik auf der Türflucht des zweiten – langgestreckten – Ausstellungsraumes steht, wo sie nicht nur mit den Tafeln an der Wand in Beziehung tritt, sondern auch das Thema der Achsen als Vermessung von Dreidimensionalität anspricht (eine Idee auch der letzten Ausstellung hier vor Ort von Maike Freess). Plötzlich scheinen die Linien und die Bildtafeln in Bewegung zu geraten. Alles ist in ein lebhaftes Spiel verstrickt, Balken hüpfen geradezu an der Wand. Ordnung und Chaos tanzen miteinander Polka, Fülle verdrängt Leere und Leere stupst die Fülle an und das Innenfeld stülpt sich zur zackigen Außenform um.
Vielleicht also sollte man das ganze Theoretisieren vom gesteuerten Zufall als Hintergrundrauschen verstehen und die Bilder und Plastiken als visuelle Ereignisse aus Linien, Flächen und Farben in bestimmten, im Bildfeld konsequenten Anordnungen lesen. Dann sieht man auch, wie eines zum anderen führt und sich die Werke selbst über große Zeitspannen ergänzen, ja, erklären. Und dann erkennt man, dass die Ausstellung nämlich genau so viele Exponate enthält, wie sie braucht. In seinem Informationsgehalt ist jeder der fünf Räume für sich perfekt. Was man dem Werk von Norbert Thomas aber bestimmt vorwerfen kann, ist seine mitunter übergroße Ästhetisierung. Die von Beate Eickhoff klug kuratierte Präsentation fängt das ihrerseits geschickt auf.
„Norbert Thomas – Kein Zufall“ | bis 24.4. | Von der Heydt-Kunsthalle Barmen | 0202 563 65 71
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