Die neun Sinfonien Anton Bruckners sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Zwar lesen sich ihre Partituren vordergründig fließend. Doch sprichwörtlich liegt der Teufel oft im Detail. Ein Paradebeispiel für eine lange, intensive Beschäftigung mit ihnen, um selbst kleinste Strukturen deutlich zu machen, gab der legendäre Dirigent Günter Wand. Deswegen verlangte oft mehr als die üblichen Proben. So feilte er auch akribisch an der Achten. Die behandelt nicht nur den deutschen Michel, sondern auch das Dreikaisertreffen im September 1884 in Skierniewice. Nachdem er sie selbstbewusst am 3. Juli 1887 vollendet hatte und dachte, damit an den großen Erfolg der Siebten anknüpfen zu können, verfiel er wenig später in tiefe Depressionen. Denn gerade der Dirigent Hermann Levi, der sie uraufführen sollte, war entsetzt, fällte vernichtende Worte darüber. Bruckner ließ sich auch von anderen Personen in sein Opus hineinreden. Drei Jahre benötigte er für die Erstellung einer zweiten Fassung.
Mit diesem Kolossalwerk kommt das Junge Orchester NRW in die Historische Stadthalle Wuppertal. Seit 49 Jahren führt es regelmäßig große Orchesterwerke der Romantik und Spätromantik auf, wie auch solche von Dmitri Schostakowitsch. Bis zur Coronakrise erfreuten die sich aus Schülern, Studenten und jungen Berufstätigen zusammensetzenden Sinfoniker viele Musikfreunde mit ihrem Spiel. Dieser Abend wird zwar auch mit lang anhaltendem Beifall honoriert, doch nur von einem Teil des Publikums frenetisch gefeiert. Unter dem engagierten und motivierenden Dirigat von Ingo Ernst Reihl, Gründer des Orchesters und nach wie vor sein Musikalischer Leiter, legen sich die jungen Musiker mächtig ins Zeug und geben ihr Bestes. Doch gelingt ihnen nicht alles zur Zufriedenheit. Denn ihr Spiel ist mit ungewohnt vielen Mängeln gespickt. Die Hörner klingen ab dem ersten Takt bis zum Schluss über viele Strecken nicht rein. Die Einsätze der ersten Geigen sind nicht immer genau. Auch sind in der hohen Lage etliche Töne und Tonrepetitionen bei ihren Konzerten vor der Coronakrise präziser zu Ohren gekommen. Die Trompeten hören sich im Fortissimo ein wenig zu scharf an. Laut Reihl haben sie sich in einer Probenphase von sechs Tagen das rund 80-minütige Werk erarbeitet. Vielleicht war die Zeit etwas zu knapp bemessen. Trotzdem, obwohl manche Crescendi nicht selbstsicher genug wirken, gelingt den Instrumentalisten eine ansprechende emotionale Deutung. Gerade große Spannungsbögen explizit im Adagio, ein schönes Nachzeichnen selbst langer musikalischer Linien oder ein recht ausgewogenes Orchesterklangbild sind hervorzuheben.
Als Zugabe wird ein Stück gespielt, das ein Beispiel für Bruckners tiefen Glauben ist: seine geistliche Motette „Pange lingua“. Sie ist eine Vertonung der gleichnamigen Hymne, die Thomas von Aquin zugeschriebenen wird. Sie passt zwar nicht zur der jetzigen Jahreszeit, da sie zur Feier von Fronleichnam gedacht ist. Trotzdem gefallen die ergreifenden Gesänge der Sinfoniker, die das A cappella-Chorwerk stehend vortragen.
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