Auf einem frühen Selbstbildnis von 1924, eigentlich fein in Öl auf Leinwand, fallen zwei helle Streifen auf, die aus der Form des Porträts herausfallen: einer halbiert die Stirn, der andere wechselt das Medium und zeigt die Zeichnung unter der Farbe. Nach zwei Jahren ist Jankel Adler wieder im Wuppertaler Von der Heydt-Museum zu sehen, jetzt befragt man dort sein grafisches Werk – ohne ein paar Gemälde geht das natürlich nicht – auch berühmte Weggefährten und Zeitgenossen sind wieder zu sehen.
Die Ursache: das Haus hat inzwischen mehr als 500 Grafiken und vier Gemälde aus dem Nachlass des 1895 in Polen geborenen jüdischen Künstlers, der 1949 im britischen Exil starb, in der Hauptsache auf dem deutschen Kunstmarkt erstanden, wo die Arbeiten von seiner Tochter Nina (1927-1991) belassen wurden, während sie das Archiv des arrivierten Kunstschaffenden bereits dem Museum vermacht hatte. Jankel Adler studierte in Wuppertal, weil seine Schwester dort wohnte, er wurde Teil der Kölner Avantgarde um Mutter Ey und floh 1933 vor den Nazis nach Paris, dann nach London. Das Von der Heydt-Museum in Wuppertal besitzt jetzt ein großen Anteil am recht unübersichtlichen Nachlass.
In „Metamorphosen des Körpers“ zeigt die Ausstellung auch, wie nah Adler einst den neuesten Impulsen seiner Zeit gewesen ist, wie er mit berühmten Künstlerkollegen auf Augenhöhe arbeitete und eigene Anstöße formulierte. Raum zwei („Im Atelier des Künstlers“) zeigt diese Suche nach der neuen Formensprache, akademische Körperstudien wohin das Auge schaut, doch schon bei den ersten Arbeiten werden „freche“ Dekonstruktionen von Proportionen und Gliedmaßen sichtbar. Seine Figuren erzählen keine Geschichten, seine Protagonisten sind die Erzählung selbst, in Haltung und Pose. Ohne Leidenschaft blicken sie oft den Betrachter selbst an.
Explizit jüdische Themen machten ihn bereits vor dem Krieg zu einem Solitär in der Szene, auf der britischen Insel entwickelten sich seine Figuren weiter, Formen und Proportionen lösten sich immer weiter auf, kubistische Tendenzen gewannen Raum, seine jüdischen Themen verfolgte er im Exil weiter. In Wuppertal kann man sein grafisches Arbeiten mit Picasso-Lithos aus den 1940ern vergleichen, dessen „Sitzende Frau und Schläferin“ (1947) oder auch Ernst Wilhelm Nays „Mädchenkopf“ (1946) bearbeiteten die gleichen malerischen Mechanismen der damals „modernen“ Gestaltung.
Zwei Bildhauerarbeiten aus den späten 1950ern von Jacques Lipchitz und Lynn Chadwick (Bestand Von der Heydt-Museum) lockern die Blickachsen im Raum geschickt auf, bevor man doch zu einem malerischen Highlight der Ausstellung gelangt. Adlers großes Gemälde von „Else Lasker-Schüler“ (Öl auf Leinwand, 1924), das das Museum 1986 für Wuppertal wieder erwerben konnte, nachdem es in der NS-Zeit beim Kunstverein Barmen beschlagnahmt und wohl zu Devisen wurde. Mit Lasker-Schüler verband ihn eine enge Freundschaft, sie nannte ihn einmal einen „hebräischen Rembrandt“. Ob damit die belebten Szenerien oder die ungewöhnlichen Metamorphosen der Körper gemeint waren, wer weiß das schon? Prinz Yussuf ließ sicher grüßen.
Metamorphosen des Körpers | bis 28.8. | Von der Heydt-Museum | 0202 563 62 31
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