„Ein Theaterabend muss ja immer eine Welt sein, ins Rollen zu kommen. Nicht um etwa auf die Bühne zu gelangen. Wer daran im Erschaffen auch nur denkt oder denken kann, der zimmert eine Welt, aber er erschafft sie nicht und – Geschicklichkeit ist keine Zauberei und zaubern heißt des Dichters – Handwerk.“ Else Lasker-Schüler war eine außergewöhnliche Künstlerin. Ihr zitiertes Statement findet sich im Katalog zur Ausstellung „‚Prinz Jussuf von Theben‘ und die Avantgarde“ im Von-der-Heydt-Museum. Nicht nur wegen ihres hier anklingenden Eigensinns ergibt sich in der Schau eher ein Panorama als ein einheitliches Bild.
Mit seinem betonten Gegeneinander von „Zimmern“ und „Erschaffen“ scheint die vor 150 Jahren geborene Jubilarin sich zu einer Poetik zu bekennen, die eher genialisch-intuitiv orientiert ist als rational. Dass sie im Vorfeld des Zitats die Entstehung ihres Stücks „Die Wupper“ als Traumprodukt schildert, wäre vielleicht für ein surrealistisches oder impressionistisches Kunstverständnis typischer als für den Expressionismus, als deren Vertreterin sie vor allem gilt. Die Ausstellung dann über eine Themenführung wie „Expressionismus in Bild und Literatur“ kennen zu lernen, mag den Eindruck verstärken, dass die berühmte Tochter Wuppertals in kein Raster so richtig passt. Auch Expressionismus ist ein Etikett.
Die Ausstellung ist sehenswert und dabei so monumental, wie das beim Feierjahr einer berühmten Stadttochter wahrscheinlich zu erwarten ist. Natürlich leistet auch ein Großmuseum wie das Haus am Turmhof seinen Beitrag zu solch einem Ereignis. Wie würdigt ein Museum als Stätte bildender Kunst eine Person, die zum Einen schwer einzuordnen ist, zum anderen gar nicht primär als bildende Künstlerin? Denn trotz ihres unverkennbaren zeichnerischen Stils vermittelt doch nicht zuletzt die Formel von der „malenden Dichterin“ ihre Gewichtung zu Gunsten des Schreibens.
Von-der-Heydt macht es so: Zeichnungen der Künstlerin werden gezeigt, dazu weitere von ihr stammende Exponate wie Briefe und Bücher – insgesamt sind es rund achtzig. Die kleinformatigen Zeichnungen wie aus ihrer Traumwelt „Theben“ (Raum 7) entfalten ihren Charme am besten, wenn man sie gesondert vom Rest betrachtet. Bogen der Ausstellung ist aber die Chronologie ihres Lebensweges, und das gibt Anlass, sie mit vielem anderen zu versetzen.
Entlang der Biografie finden sich: Gemälde berühmter Zeitgenossen wie August Macke, Ernst Ludwig Kirchner oder natürlich Franz Marc, mit dem Lasker-Schüler ein enges Verhältnis verband. Darunter wichtige Werke aus dem Bestand des Museums, deren Schöpfer sich 1913 an einer Auktion zu Gunsten der notleidenden Künstlerin beteiligt hatten. Andere Bilder wurden deshalb aufgenommen, weil sie die Dichterin porträtieren. Es ist spannend, „Else“ beim Schlendern immer wieder zu entdecken. Karl Schmidt-Rottluff hat sie gemalt, aber auch im Bild „Blinder Bettler im Café“ von Josef Scharl sitzt sie am Tisch – ein Werk übrigens, das eine Darstellung der Künstlerszene vereint mit dem Blick auf den drohenden, ja sichtlich bedrohlichen Faschismus. Und weiteres, das bei einem ausführlichen Gang durch die klar gegliederten Räume gut zu entdecken und zu goutieren ist: So sind, auch theaterhistorisch interessant, Bühnenbildentwürfe zu Else-Stücken zu sehen, wie von Teo Otto zu einer „Wupper“-Inszenierung.
Eine Themenführung gibt da, quer zur Schau-Struktur, Orientierung unter einem anderen Blickwinkel. Unter dem Titel „Expressionismus in Bild und Literatur“ etwa ordnet die Kunsthistorikerin Annette Quast die Jubilarin in diese Strömung ein. Sie liest dazu auch Lyrik, darunter Jakob van Hoddis‘ epochales „Weltende“ mit seinen sprachlichen Verschiebungen, die Erschütterung an- und vorausdeuten: „Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut.“ Quast: „Normalerweise ist ja ein Hut spitz, nicht der Kopf.“ Die Besucher werden geleitet etwa zum Bild „Simultanvision“ von Umberto Boccioni, das in Farbe wie Linienführung in seinen Bann zieht. Dabei zeigen sich Parallelen wie auch Abweichungen: Simultan mochte man auch den sprachlichen Stil bei van Hoddis nennen; Lasker-Schüler hat gleichfalls ein Gedicht „Weltende“ geschrieben, das auch zum Vortrag kommt. Doch es spielt auf persönlicher Ebene und ist in Stimmung wie Form ganz anders. Die malende Dichterin: Abweichend auch hier.
„Das Ende ist offen“
Von der Heydt-Direktor Roland Mönig über „Visionen und Schrecken der Moderne“ – Sammlung 12/20
Süß bis zum Würgen
#cute im NRW-Forum in Düsseldorf – kunst & gut 11/20
Dies alles gibt es also
74. Internationale Bergische Kunstausstellung in Solingen – kunst & gut 10/20
Systemkritik
Engelskirchener Kunstprojekt zu Friedrich Engels – Kunst 09/20
Wo dein Platz, Genosse, ist!
„Friedrich Engels – Ein Gespenst geht um in Europa“ in der Kunsthalle – kunst & gut 09/20
Auf der Suche nach Truffaldino
Yann Annicchiarico im Düsseldorfer KIT – kunst & gut 08/20
Geschichtete Bahnschwellen unter Bäumen
Sean Scully im Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 07/20
Von der Himmelstreppe zum Urboot
128 Exponate über die Ursprünge der Welt. Hannsjörg Voth im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 06/20
„Man spürt in diesem Moment, wie unersetzlich Kultur ist“
Roland Mönig – neuer Direktor des Von der Heydt-Museums – Interview 05/20
Weg war das Böse eigentlich nie
Pest-Ausstellung in Herne – kunst & gut 04/20
Keine Denkmäler für den Krieg
Michael Sandle im Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 03/20
Performen für Nachrichtendienste
„Artists & Agents“ im HMKV im Dortmunder U – kunst & gut 02/20
Beleuchte die Konstrukte des Teufels
Heba Y. Amin zeigt ihre Einzelausstellung „Fruit from Saturn“ – kunst & gut 01/20
Wenn der Balken beim Übergang brennt
Kunst in der DDR im Düsseldorfer Museum Kunstpalast – kunst & gut 12/19
Wieder an der Wupper
Oskar Schlemmer im Von der Heydt-Museum Wuppertal – kunst & gut 12/19
„Wer performt hier eigentlich für wen?“
Inke Arns über die Ausstellung „Artists & Agents“ – Sammlung 11/19
Grüße aus einem unbekannten Land
Else Lasker-Schüler im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 11/19
Wesen aus Heavy Metal
Joan Miró in Wuppertal – Kunst 10/19
Goldenes Konfetti
73. Internationale Bergische Kunstausstellung in Solingen – kunst & gut 10/19
Filigraner Stahl schneidet weiße Wände+
Otto Boll im Wuppertaler Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 09/19
Auf den Spuren von Prinz Jussuf von Theben
Sieben Künstler auf der Suche nach Heimat – kunst & gut 08/19
Aus der eigenen Tasche
Hundert Jahre Moderne im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 07/19
Faszination Berge
Anna Stainer-Knittel wird erstmals ausgestellt – kunst & gut 06/19
Wiederentdeckung
Peter Schenck im Von der Heydt-Museum – kunst & gut 05/19
Ekstase und Verwandlung
Martin Disler im Skulpturenpark Waldfrieden – kunst & gut 04/19