Die Ausstellung befasst sich mit dem Verhältnis zwischen Fotografie und Gemeinschaft im Wandel von Zeit und Technik.
engels: Frau Conze, ich hab vor 20 Jahren mal nackt für den Fotografen Spencer Tunick am Museum Kunstpalast gefroren, wäre das ein Motiv für die Ausstellung „Fotografie und Gemeinschaft“?
Linda Conze: Lustig, dass sie das erwähnen, denn über das Bild haben wir ganz am Anfang im Zusammenhang mit unserer Ausstellung auch einmal nachgedacht, haben uns dann aber dagegen entschieden. Das war natürlich ein Moment, in dem die Kunst Menschen und die Bewohner der Stadt Düsseldorf vergemeinschaftet hat.
Früher waren das eher Bilder von Firmen oder Militär-Erinnerungen?
Der Look von Gruppenbildern und das Verhältnis von Fotograf oder Fotografin zur Gemeinschaft haben sich Verlauf der Geschichte des Mediums stark verändert. Am Anfang waren das sehr starre Formationen, die von Auftragsfotografen ins Bild gesetzt wurden. Das lag damals auch an technologischen Voraussetzungen, wie den langen Belichtungszeiten, wegen derer man sich einfach nicht bewegen oder dynamisch am Bild mitwirken durfte. Im Laufe der Zeit ist das Bild immer beweglicher geworden, immer spontaner, und der Bildautor ist mit in die Mitte der Gemeinschaften gerückt. Seit einigen Jahrzehnten kann man auf Selbstauslösekameras zurückgreifen, wenn die Familie zusammenkommt, oder im Sportverein, und setzt sich selbst ins Bild. In der Gegenwart sind Selfies oder auch Drohnen bestimmend. Es ist also nicht mehr so, dass derjenige, der das Bild macht, selbst nicht auf dem Foto erscheinen kann.
Kann man an der Gemeinschaftsfotografie auch sehen, wie wichtig eine Person ist? Ich denke da an Trump, der sich beim Nato-Gipfel nach vorne schubst.
Absolut. Und das interessiert uns auch in der Ausstellung. In dem Moment, wo ein Gruppenbild angekündigt wird, gehen ganz kleine, aber wichtige Interaktionen los. Die Menschen handeln in Sekunden aus: Wer steht wo, wer bildet das Zentrum, wer steht am Rand. Das sagt natürlich eine Menge darüber aus, wer welche Rolle in der Gemeinschaft spielt und wie wichtig er oder sie da ist.
Was zeigt die Ausstellung?
Im Kunstpalast sind im Rahmen dieser Ausstellung rund 120 Werke zu sehen. Die verteilen sich auf neun Kapitel, und wir zeigen einerseits angewandte Fotografie wie Familienfotos, oder zum Beispiel Pressefotos aus dem Fußballstadion, die dann ein Gesicht in der Gemeinschaft der Fankurve fokussieren. Und andererseits natürlich auch zahlreiche künstlerische Arbeiten, die der Frage nachgehen, in welchem Verhältnis Fotografie zur Gemeinschaft steht, wie sie sie befeuern, aber auch unterwandern kann. Wir haben im Hinblick auf die Genres eine große Vielfalt, aber auch hinsichtlich der Geschichte des Mediums. Wir zeigen sowohl Bilder aus dem 19. Jahrhundert als auch Bilder, die gerade erst fertig geworden sind.
Hat die Ausstellung eine bestimmte Dramaturgie?
Wir fangen an mit dem vielleicht naheliegendsten Fall von Gemeinschaftsbild, dem Gruppenfoto. Danach dekonstruieren und sezieren wir das und fragen, was passiert eigentlich, wenn man anfängt am Gruppenbild rumzubasteln. Wenn man vielleicht Menschen aus dem Bild entfernt und neue hinzuklebt. Dann widmen wir uns dokumentarischen Positionen, wie beispielsweise von Ute und Werner Mahler, die über Jahre eine bestimmte Dorfgemeinschaft in Thüringen begleitet haben. Wir fragen in der Ausstellung aber auch nach Gemeinschaften verschiedenen Maßstabs. Familie und Sportverein sind ja schon erwähnt worden, aber auch die Nation kann eine Gemeinschaft sein, und da haben wir plötzlich viel mehr Menschen, die dazu gehören. Das ist wichtig für die politische Kommunikation oder Propaganda. Wir fragen aber auch nach Archivpraktiken und welche Gemeinschaften eigentlich ein visuelles Gedächtnis haben und welche nicht. Und zum Schluss fragen wir danach, wie sich das Verhältnis von Gemeinschaft und visuellen Medien in Zeiten der Digitalisierung verändert. Denn heute sind wir ja eher von Netzwerken umgeben als von klassischen Gemeinschaften.
Kann moderne inszenierte Fotografie, auch durch KI, Scheingemeinschaften schaffen?
Ich würde erst einmal sagen, dass im Grund genommen jede Fotografie von Gemeinschaft eine Behauptung ist, auch jenseits von künstlicher Intelligenz. Aber natürlich hat sich durch generative Bildtechnologie und KI das Verhältnis zwischen den beiden Phänomenen stark verändert. Es ist auch eine neue Skepsis eingezogen. Mittlerweile schaut man anders auf Bilder, die behaupten, dass Menschen zusammengehören. KI wird heute auch benutzt, um Feindbilder in die Welt zu bringen, die dann im Netz zirkulieren.
Muss die Gemeinschaft immer wissen, dass sie fotografiert wird? Ich denke an Sportveranstaltungen oder Demos – gibt es da auch unabsichtliche Gemeinschaften?
Absolut, es geht nicht nur um Gemeinschaftsbilder, für die sich die Menschen freiwillig aufstellen. Es geht auch um Überwachungstechnologien, also mediale Werkzeuge, die einem Staat ermöglichen, Kontrolle auszuüben, wenn es zum Beispiel um politische Demonstrationen geht. Wie die Gesichtserkennung, bei der es darum geht, eine einzelne Person aus einer großen Gruppe Menschen herauszulesen. Auch das spielt in der Ausstellung eine Rolle.
Eine Gruppe im Universum. Neil Slavin, Star Trek Convention, 1972-1975, chromogener Abzug, 25,8 x 38,1 cm, Kunstpalast, DüsseldorfIst auch historische Pressefotografie zu sehen, vielleicht von Loveparades oder von Naziaufmärschen?
Historische Pressefotografie spielt eine Rolle, zum Beispiel Aufnahmen, die im Kontext der Olympischen Spiele 1936 in Berlin gemacht wurden. Dort wurde die deutsche, sogenannte „Volksgemeinschaft“ in Form homogenisierter Massen ins Bild gesetzt. Die Fotos wurden damals einerseits international vertrieben, um die Idee der rassistisch definierten „Volksgemeinschaft“ in der Welt zu verbreiten, andererseits auch im Innern von Deutschland verbreitet, um der Bevölkerung ein Selbstbild eines geeinten Volkskörpers vor Augen zu führen.
Vieles stammt ja aus dem Bestand. Was musste ausgeliehen werden und warum?
Als wir anfingen, über die Inhalte nachzudenken, haben Miriam Homer, die mit mir die Ausstellung kuratiert, und ich erst einmal die eigenen Bestände durchforstet. Dabei sind wir auf sehr vielfältige Bilder gestoßen, die Gemeinschaft zum Thema haben. Wir haben uns dann in der gegenwärtigen Kunstlandschaft umgeschaut, wer in jüngerer Zeit an diesem Thema gearbeitet hat, und sind auf Künstlerinnen und Künstler gestoßen, von denen wir überzeugt waren, dass sie der Ausstellung wichtige Aspekte hinzufügen können. Wie beispielsweise der Videokünstler Clemens von Wedemeyer, von dem wir eine große, immersive Videoinstallation zu algorithmischen Netzwerke zeigen.
Community | 11.2. - 25.5. | Museum Kunstpalast, Düsseldorf | 0211 56 64 21 00
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