Radfahren, joggen, skaten und spazieren gehen: Es ist weithin bekannt, dass man dafür in Wuppertal kaum einen geeigneteren Ort als die Nordbahntrasse findet. Für viele Wuppertaler ist sie unverzichtbar geworden.
Die Geschichte der Trasse beginnt im Jahr 2005: Carsten Gerhardt, heute Vorsitzender der Wuppertalbewegung, war damals mit seiner Frau auf der 1991 stillgelegten Bahnstrecke unterwegs. „Die zugemüllte und zugewucherte Trasse war ein Urwald“, blickt der stellvertretende Vorsitzende, Lutz Eßrich, zurück. Trotzdem sei die Idee zur Nordbahntrasse entstanden, weil man über die nördlichen Hänge schnell von A nach B käme. Mit 27 Gründungsmitgliedern entstand Anfang 2006 der gemeinnützige Verein Wuppertalbewegung, der sich ausdrücklich als überparteilich versteht. Als man der Stadtverwaltung die Idee vorschlug, sei man dort zwar nicht abgeneigt gewesen, die Antwort lautete jedoch: „Wir haben kein Geld und wenn wir Geld hätten, hätten wir keine Leute.“ Also setzte der Verein alles daran, das Kapital selbst aufzutreiben, erinnert sich Eßrich: „Uns ist es innerhalb weniger Monate und mit der Hilfe großer Wuppertaler Unternehmen gelungen, den Eigenanteil zu stemmen. Und wir haben sämtliche Förderanträge geschrieben und auf diese Weise ungefähr 32 Millionen an Zuschüssen akquiriert.“ Bald wurden auf der 23 Kilometer langen Strecke Bäume und Sträucher entfernt, genau wie Autoreifen, Altöl und schließlich auch die Schienen. Ende 2014 konnte die Nordbahntrasse eingeweiht werden – und wurde zum vollen Erfolg. Auch mit zahlreichen Preisen wurde sie ausgezeichnet, 2015 etwa mit dem Deutschen Fahrradpreis und dem European Greenways Award. International findet das Projekt vor allem im Bereich der Stadtentwicklung viel Beachtung, weiß Vorstandsmitglied Christa Mrozek, die Führungen auf der Trasse durchführt: „Es kommen Gruppen aus ganz Europa, die sich dafür interessieren, mit welchem bürgerschaftlichen Engagement die Trasse entstanden ist. Selbst Studenten aus Hongkong habe ich schon geführt.“
Ohne dieses Engagement wäre das alles tatsächlich unmöglich geblieben, weiß Eßrich: „Was uns auszeichnet, sind die vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter.“ Neben etwa 1300 Vereinsmitgliedern, gebe es nämlich noch zahlreiche weitere Helfer: „Es gibt kaum einen Verein, der mit freiwilliger Unterstützung so wuchern kann. Wir sind wir stolz, dass wir darauf bauen dürfen“, sagt er. Gleichzeitig seien die Meinungen der Menschen wichtig: „Wir legen viel Wert drauf, dass wir die Bevölkerung bei vielen Aktivitäten einbinden.“ Mrozek resümiert: „Ich freue mich, dass sich so viele Menschen mit unterschiedlichen fachlichen Kenntnissen von Anfang an diesem Projekt beteiligt haben. Nur als Gemeinschaftsprojekt ist es ein Erfolgsprojekt geworden.“
Und auch über das Verhältnis zur Stadtführung kann Eßrich nicht klagen: „Die Zusammenarbeit ist mittlerweile super. Wir wirken auf die Stadt ein, indem es in ein- bis zweimonatigen Abständen Treffen im Oberbürgermeisterbüro gibt. Da werden unsere Ideen und Vorschläge diskutiert und ernst genommen.“ Dankbarkeit spüre er, weil die Stadt alleine nicht in der Lage sei, solche Projekte zu stemmen. Mittlerweile hat die Wuppertalbewegung bereits zwei weitere Projekte realisiert: In Wichlinghausen die Grünanlage Belvedere und erst kürzlich in Oberbarmen die 2 Kilometer lange Schwarzbachtrasse. Nun beratschlagt man über das nächste Vorhaben. Eßrich verrät: „Wir sind noch in der Findungsphase. Es gibt 45 Vorschläge aus der Bevölkerung.“ Anfang April hat man jedenfalls den nächsten Termin mit der Stadt.
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wuppertalbewegung.de | Der Verein „von Bürgern für Bürger“ hat sich pragmatische politische Ziele auf die Fahne geschrieben, z.B. die Nutzbarmachung der Nordbahntrasse.
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