engels fragt: Welche Initiativen zeigen uns den Weg?
8 Cent, 15 Cent, 25 Cent. Für die meisten Menschen sind diese Beträge nicht viel Geld. Und doch gibt es viele, die auf Straßen und in Mülleimern nach leeren Flaschen und Dosen suchen – weil sie Geld brauchen: Ein bedrückendes Indiz für Armut und soziale Ungleichheit, vor dem andere Menschen am liebsten die Augen verschließen. Miriam Wagner, die stellvertretende Vorsitzende der Initiative Pfandraising weiß:„Pfandflaschen sind eine Art Ersatzwährung. Vier Flaschen sind ein Euro.“
Im Jahr 2015 unterhielt sich die Studentin Laura Krämling mit dem Politikwissenschaftler Daniel Lorberg, bei dem sie ein Praktikum absolvierte. Ein Gedanke kam auf: Nach Partys häuft sich in zahllosen WGs das Pfand und meist steht kein Auto zum Wegbringen des Leerguts zur Verfügung. Also böte es sich an, dieses abzuholen und den Erlös wohltätigen Initiativen zu spenden. Ehrenamtlich setzte Krämling diese Idee mit ihrer Freundin Racel Bosbach und einem kleinen Team gleich in die Tat um – gemäß dem Motto: „Feier wild. Sei faul. Tu Gutes.“
Und die Idee kam gut an: „Ich hätte nicht gedacht, dass uns so viele junge Leute, nach einer Party wirklich ihr ganzes Pfand spenden, um was Gutes zu tun. Und viele Spender sind auch Leute, die selbst als sozial schwach eingeschätzt werden. Die möchten dann noch ärmeren Menschen helfen. Das ist schön und bestärkt uns“, erzählt Karsten Gonsch (41), der seit 1,5 Jahren mit im Team ist.
Mittlerweile ist Pfandraising ein eingetragener Verein und fährt alle 14 Tage mittwochs, am späten Nachmittag, mit einem Kleintransporter durch Wuppertal. „Man meldet sich vorher auf unserer Internetseite (pfandraising.org) an und gibt die Mengen an, die man spenden möchte“, erläutert der 41-jährige Gonsch. Da das Leergut, das Pfandraising abholt, direkt von den Haushalten stammt, gibt es keine Konkurrenz zu den Flaschensammlern: „Wir möchten niemandem etwas wegnehmen“, stellt Gonsch klar.
Nach der Einlösung des Leerguts bei einem Supermarkt an der Adlerbrücke, wird der Erlös – nach dem Motto „Vom Tal fürs Tal“ – an verschiedene Wuppertaler Initiativen gespendet. „Durchschnittlich nehmen wir pro Fahrt 150 bis 250 Euro ein. Der Spitzenwert lag bei über 600“, berichtet die 28-jährige Miriam Wagner, die seit 2016 bei Pfandraising aktiv ist. Bis Anfang 2019 wurde ein Großteil des Geldes für Deutschkurse für Geflüchtete verwendet. Da der Bedarf aber mittlerweile geringer geworden ist, berät das Team derzeit über ein neues Kernprojekt. „Für uns ist es eine Herausforderung: Wo setzen wir an? Bedürftige Kinder? Wohnungslose? Altersarmut? Diese traurige Fülle an Armut macht es uns nicht leicht, zu entscheiden an wen unser Geld gehen soll“, erklärt Wagner nachdenklich. Darum wird es nun eine Abstimmung mit den Leergut-Spendern geben.
Neben dem Kernprojekt unterstützt Pfandraising stets auch andere Initiativen wie etwa Kindertal, das Kinderhospiz, Weiße Herzen, DLRG oder das Projekt Bellissima. „Vor ein paar Wochen haben wir gesehen, wie ein älterer Herr in Mülleimer nach Flaschen geschaut hat“, erinnert sich Wagner. „Das hat uns berührt. Und aufgrund dessen haben wir unser als nächstes Spendenziel eines im Bereich der versteckten Altersarmut ausgesucht.“
Vielen Menschen konnte Pfandraising schon helfen. Damit das auch weiter möglich bleibt, sucht das etwa zehnköpfige Team immer neue Mitglieder, so Gonsch: „Wenn man nur alle drei Monate Zeit hat, ist das auch nicht schlimm: Jede Hand hilft“. Außerdem freut man sich natürlich auch immer über neue Pfand-Spender. Denn Pfandraising zeigt: Auch mit Cent-Beträgen können hunderte Euro zusammenkommen.
Falsches Geld - Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und choices.de/thema
Aktiv im Thema
lobbycontrol.de | Die NGO klärt auf über Lobbyismus in Deutschland und der EU (s. auch Interview).
foodwatch.org/de/startseite | Die NGO nimmt Missstände rund um unsere Ernährung in den Blick, nicht zuletzt die Verquickungen von Politik und Lobbys.
abgeordnetenwatch.de | Auf der vom Verein Parlamentwatch getragenen Plattform können BürgerInnen ParlamentarierInnen befragen und u.a. deren anzeigepflichtigen Nebentätigkeiten einsehen.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@engels-kultur.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Politik in Hinterzimmern
Wie tausende Lobbyisten Entscheidungen beeinflussen
„Auch finanzschwache Interessen hören“
Politikwissenschaftler Leonce Röth über fehlende Lobby-Kontrolle
Transparenz von Hinterzimmergesprächen – Vorbild Irland
Das irische Lobbyregister
Aus der Krötenperspektive
Die Unsicherheit des Geldes
Durch Drängen zum Flüsterton
Die Bürgertaskforce A 46 bündelt den Einsatz für Lärmschutz in Wuppertal
Vergessene Nachrichten
Die Initiative Nachrichtenaufklärung in Köln
Kein Arbeitskampf ohne Körper
Das Fritz-Hüser-Institut in Dortmund erforscht Literatur der Arbeitswelt
Blühendes Forschungsfeld
Der Elberfelder Friedensgarten erkundet Verständigung auf Mikroebene
In höchster Not
Der Kölner Verein Blau-Gelbes Kreuz organisiert Hilfe für die Ukraine
Der Krieg und das Klima
Das Bochumer Klimaschutzbündnis fordert transparente und engagierte Klimapolitik vor Ort
Neues Berufsbild für Flüchtlinge
Die Wuppertaler SprInt eG fördert kultursensibles Dolmetschen
Kunstraub in der NS-Zeit
Forschungsprojekt am Museum für Angewandte Kunst Köln
Erinnerungskultur vor Ort
Stadtführung „colonialtracks“ über Essens Kolonialgeschichte
Angst-Räume beseitigen
Die Wuppertaler Stabsstelle für Gleichstellung und Antidiskriminierung
Ein Tabu zu viel
Paula e.V. Köln berät Frauen ab 60 Jahren, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind.
Gendern rettet Leben
Neue Professur für geschlechtersensible Medizin an der Bielefelder Universität
Schöne Technik, sichere Daten
Zu Besuch beim Chaos Computer Club Cologne
Souveränität vs. „Konsumdressur“
Medienpädagoge Daniel Schlep fordert echte Medienkompetenz
An einem Tisch, selbst digital
Wuppertaler Bildungsreihe Fight for Democracy trainiert Verständigung auf Augenhöhe
Aus Alt mach Neu
Hilfe zur Selbsthilfe: Das Reparatur-Café in Wuppertal-Heckinghausen
Weniger Müll ist auch eine Lösung
Zero Waste bald auch in Köln?
Auf den Ruinen der Konsumgesellschaft
Die nachhaltige Werkstatt „Tanz auf Ruinen“ in Dortmund
Nachhaltig glücklich
Die Station Natur und Umwelt in Wuppertal setzt für Klimaschutz auf positive Erlebnisse
Wenn die Jugend wählen dürfte
Der Kölner Jugendring vertritt politische Interessen junger Menschen
Radikal gegen die Trägheit
Die Bochumer Ortsgruppen von Extinction Rebellion und Ende Gelände über Klimaaktivismus